20 kritische Fragen an das Danielbuch - Wurde es im 6. oder 2. Jahrhundert geschrieben?

Inhaltsverzeichnis

  1. Warum gibt es eine Zweisprachigkeit in dem Buch?
  2. Warum gibt es Unterschiede ab Kapitel 7?
  3. Warum wurde Daniel zu den Schriften und nicht zu den Propheten gerechnet?
  4. Warum wird Daniels Wegführung im AT sonst nicht erwähnt?
  5. Warum wurde ein Sohn Davids nachträglich namentlich auf Daniel geändert?
  6. Warum erwähnt Daniel die Rückführung aus dem Exil nicht?
  7. Wie viele Satrapien gab es?
  8. Warum bekommen Engel Namen?
  9. Ist Daniel Held oder Autor?
  10. Warum gibt es keine außerbiblischen Belege für Daniel?
  11. Wer ist Darius der Meder?
  12. Warum wird Daniel im Sirachbuch nicht gelobt?
  13. Nebukadnezar oder Nebukadrezar?
  14. Vier-Reiche-Theologie
  15. Wie soll man sich die Löwengrube vorstellen?
  16. Das Gebet des Nabonid
  17. Warum gibt es auffällig viele Parallelen zwischen Josef und Daniel?
  18. In welche Zeit passt die Kernbotschaft Daniels?
  19. Warum wird Daniels Jahrwochen Prophetie im NT nicht erwähnt?
  20. War Belsazar wirklich König?

Verwendete Bibelstellen
Die angegebenen Bibelstellen entstammen, wenn nicht anders angegeben, der revidierten Elberfelder Übersetzung von 1985.

Einleitung

In der heutigen deutschsprachigen historisch-kritischen Theologie wird die Entstehung des Buches Daniel in die Jahre 167–164 v. Z. datiert. So schreibt z. B. Hitzig: „Als gesichertes Ergebnis geschicht­licher Kritik sprechen wir es aus, daß das Buch Daniel in der Epoche des Antiochus Epiphanes vom Jahre 170 an bis Frühling 164 v. Chr. verfasst ist.[1]

Der Theologe und Autor William MacDonald fasst die Problematik in seinem Kommentar folgendermaßen zusammen: „Die Hauptstoßrichtung der Angriffe bezieht sich darauf, ob dieses Buch tatsächlich von einem Propheten namens Daniel aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert geschrieben wurde, wie es konservative Juden und Christen bekräftigen, oder aber von einem unbekannten Autor aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus verfasst wurde, der geschichtliche Ereignisse (besonders das elfte Kapitel) so niederschrieb, als handele es sich um Weissagungen.“[2]

Erste Angriffe auf das Danielbuch stammen vom Neuplatoniker Porphyrios[3], der bereits im dritten Jahrhundert n. Chr. die Visionen Daniels als klassisches vaticinium ex eventu[4] ablehnte und die Erfüllung in Antiochus IV. Ephiphanes sah.

Ob das Buch nun im 6. oder im 2. Jahrhundert geschrieben wurde ist von äußerster Wichtigkeit. Denn wenn es tatsächlich nur ein pseudepigraphisches[5] Buch aus dem 2. Jhdt. ist, dann hat Jesus bzw. Matthäus in Mt. 24,15 einen Fehler gemacht, als er das Buch dem Propheten Daniel zuschrieb[6].

So schreibt auch Roger Liebi in seinem Buch zum Propheten Daniel: „Wer Daniel angreift, greift somit das Christentum an der Wurzel an, indem er Jesus Christus, dem Sohn Gottes, Irrtum unterschiebt![7]

Ähnlich formuliert es auch Isaac Newton: „Wer Daniels Weissagungen verwerfen wollte, der täte ebenso viel, als wenn er die christliche Religion untergraben wollte, die auf die Weissagungen Daniels von Christo gleichsam gegründet worden[8]

Hier sollen nun einige kritische Fragen zum Danielbuch aufgebracht werden. Der Leser möge dann selbst urteilen, welche Abfassungszeit er als realistisch ansieht.

1. Warum gibt es eine Zweisprachigkeit in dem Buch?

Betrachtet man das Buch Daniel in der Originalsprache, fällt auf, dass es in verschiedenen Sprachen überliefert wurde:

Dazwischen und am Ende gibt es auch griechische Zusätze[9], welche im protestantischen Raum aber als Apokryphen abgetan werden.

Ob das Aramäische auf eine alte oder junge Entstehungszeit hinweist, darüber sind sich die Wissenschaftler uneins. Martin Rösel schreibt dazu: „Das Aramäische des Danielbuchs ist eine deutlich spätere Sprachstufe als das des Esrabuchs.“[10] Also später als 5. Jhdt. v. Chr.

Roger Liebi hingegen meint: „Die Studien von F. Rosenthal haben gezeigt, dass das Aramäische im Buch Daniel dem Aramäischen entspricht, das vom 7. Jh. v. Chr. an im Nahen Osten als amtliche Sprache immer mehr Verbreitung gefunden hat![11][12]

Wer hat nun Recht?

Abgesehen davon ob man aufgrund der Sprache auf eine Entstehungszeit schließen kann, stellt sich die Frage, warum es überhaupt einen Sprachwechsel gibt? Normalerweise deutet ein Sprach­wechsel auf unterschiedliche Schreiber hin (siehe z. B. das Aramäische im Esrabuch).

Roger Liebi begründet den Sprachwechsel folgendermaßen: In Daniel 2 und 7 stehen eher heidnische Weltmächte im Mittelpunkt der Prophetie. Deshalb verfasste Daniel diese Kapitel auf Aramäisch, weil diese Sprache seit dem 7. Jh. v. Chr. im Nahen Osten immer mehr Verbreitung als offizielle Amtssprache fand. So konnten diese Kapitel auch von Nichtjuden gelesen und verstanden werden![13]

Das ist zwar ein netter Erklärungsversuch, ist aber durchwegs aus folgenden Gründen nicht ganz logisch:

  1. Sind die Leser des Danielbuches Juden und nicht Heiden.
  2. Müssten demnach Kap. 8 und 11 auch in Aramäisch geschrieben sein, da dort auch heidnische Weltmächte im Mittelpunkt der Prophetie stehen.
  3. Müssten dann die Fremdvölkersprüche im Buch Jeremia nicht auch in Aramäisch geschrieben sein?

Was ist nun wahrscheinlicher, dass Daniel zwei Sprachen verwendete (warum sollte er das tun?) oder das zwei verschiedene Autoren in unterschiedlicher Sprache geschrieben haben?

Die aktuell gängige[14] Ansicht des Entstehungsprozesses des Danielbuches ist folgender:

Den Grundstock des Buches findet man im aramäisch verfassten Erzählteil des Buches in den Kapiteln 2-6. Diese Kapitel dürften in der babylonischen Diasporagemeinde entstanden sein (man nimmt an im 4. Jhdt. v. Chr.).

In der hellenistischen Zeit, besonders unter Antiochus IV., wo immer mehr Juden hellenistisch lebten (1. Makkabäer 1,13-15; 2. Makkabäer 4,9-10) war es nötig zu zeigen, dass man unter einer Fremdherrschaft auch nach jüdischen Gesetzen leben kann. Der bereits bekannte Grundstock wurde aufgegriffen und um die restlichen Kapitel (7-12) erweitert. Kapitel 1 wurde ebenfalls hinzugefügt um einen Rahmen zu schaffen.

Dies ist natürlich eine grobe Darstellung. Details siehe bei Koch, Klaus, 1980. Das Buch Daniel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 34-76 oder bei Collins et al., 1993. Daniel: a commentary on the Book of Daniel, Minneapolis: Fortress Press, S. 12-38.

2. Warum gibt es Unterschiede ab Kapitel 7?

In den Kapiteln 1-7,1 ist von Daniel in der 3. Person die Rede. Ab Dan. 7,2 spricht Daniel auf einmal in der Ich-Form.

In den ersten 6 Kapiteln kann Daniel die Träume Nebukadnezars (Kap. 2 und 4) und die Schrift an der Wand (Kap. 5) selbstständig deuten. Ab Kap. 7 versteht er die Träume und Gesichter nicht mehr. Er muss einen Engel fragen, der ihm dann die Deutung kundtut (typisch für apokalyptische Literatur).

Auch sind die ersten 6 Kapitel noch chronologisch angeordnet. Zeitlich von Nebukadnezar (1,1) bis Kyros II. (6,29). Ab Kap. 7 finden die Visionen teilweise wieder früher statt.

Laut Dan. 1,21 blieb Daniel bis zum ersten Jahr des König Kyros. In Dan. 10,1 ist aber bereits vom dritten Jahr des Kyros die Rede.[15] Auch ist fraglich, wie der Vers aus Dan. 11,1 in die Begebenheit von Kap. 10 hineinpasst.

Die genauen prophetischen Voraussagen beginnen erst bei Kap. 7 und gehen bis Kap. 12. Davor geht es hauptsächlich um Geschichten am Königshof.

Deuten diese markanten Unterschiede darauf hin, dass es hier nur einen Themenwechsel gibt, oder sind das Hinweise darauf, dass hier ein anderer Schreiber am Werk war?

3. Warum wurde Daniel zu den Schriften und nicht zu den Propheten gerechnet?

Im jüdischen Kanon (Tanach) ist Daniel bei den Schriften (Ketuvim) und nicht bei den Propheten (Neviim) eingereiht. Nach historisch-kritischer Theologie war der letzte Teil der jüdischen Bibel (die Schriften) noch bis ins 1. Jhdt. n. Chr. im Fluss bzw. offen. Es war also noch nicht ganz fix, welche Bücher dazu gehören und welche nicht[16]. Die Bücher hingegen die man zu den Propheten rechnete waren bereits im 4. Jhdt. v. Chr. allgemein anerkannt.

Wenn also Daniel im 6. Jhdt. geschrieben wurde, warum wurde er nicht bei den Propheten eingereiht? Jesus selbst nennt ihn ja in Mt. 24,15 einen Propheten[17]. Zu behaupten er war kein Prophet scheidet hier also schon mal aus.

Natürlich beinhaltet das Buch historische Geschichtserzählungen, allerdings liegt der Hauptfokus des Buches doch auf den Visionen bzw. Träumen und auf dem Bezug zur Endzeit. Und alle Bücher die einen Endzeitbezug haben sind unter den Propheten (Neviim) eingereiht, nur Daniel nicht und das ist schon sehr auffällig.

Wäre es möglich, dass das Buch erst im 2. Jhdt. v. Chr. fertig wurde und es deswegen nur mehr zu den Schriften und nicht mehr zu den Propheten gerechnet werden konnte, weil dieser Kanon­abschnitt bereits abgeschlossen war? Und steht es deswegen in der Septuaginta an letzter Stelle[18] im gesamten Kanon?

4. Warum wird Daniels Wegführung im AT sonst nicht erwähnt?

Nach Dan. 1,1 wurde Daniel zusammen mit seinen Freunden und anderen jungen Männern im dritten Jahr der Regierung Jojakims nach Babel weggeführt. Vers 2 klingt auch so, als ob Jojakim zusammen mit einem Teil der Tempelgeräte gefangen weggeführt wurde[19].

Jojakim regierte von 609 – 598 v. Chr.[20] Demnach war das 3. Jahr seiner Regierung das Jahr 606.

Nebukadnezar wurde jedoch erst im Jahr 605 neubabylonischer König[21]. Im Jahr 605 war er als Heerführer und Kronprinz in der Schlacht bei Karkemiš[22]. Sein Vater Nabopolassar starb im selben Jahr und Nebukadnezar eilte von Karkemiš zurück nach Babylon, um seine Thronherrschaft anzutreten.

Die Schlacht bei Karkemiš ist auch in der Bibel erwähnt in Jeremia 46,2: „Über Ägypten: Gegen die Heeresmacht des Pharao Necho, des Königs von Ägypten, die zu Karkemisch war, am Strom Euphrat, die Nebukadnezar, der König von Babel, schlug im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Juda:“

Dem Bibeltext nach fand die Schlacht im vierten Jahr Jojakims statt, also einem Jahr nach der Wegführung, die in Daniel 1 erwähnt ist.

Weitere wichtige Erwähnungen Jojakims in der Bibel sind folgende:

Jeremia 25,1: „Das Wort, das zu Jeremia geschah über das ganze Volk Juda im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Juda, das ist das erste Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babel.“

In 2. Kön. 23,36-24,7 lesen wir, dass Nebukadnezar nach Jerusalem zog und Jojakim sein Knecht wurde für 3 Jahre. Eine Datierung, wann das genau gewesen sein soll, gibt der Bibeltext aber nicht her. Von einer Wegführung Jojakims oder der Tempelgeräte liest man hier nichts. Die Phrase „Und Jojakim legte sich zu seinen Vätern“ in Vers 6 deutet eher darauf hin, dass er in Jerusalem friedlich gestorben ist.

Nach 2. Chr. 36,5-8 wurde Jojakim von Nebukadnezar gefangen nach Babel geführt[23], auch die Tempelgeräte wurde mitgenommen. Der Bibeltext kling so als ob dies am Ende seiner Herrschaft geschehen ist (also im Jahr 598 v. Chr.), da sein Sohn dann seiner Stelle König wird. 

Da Jojakim im vierten (Jer. 36,1) und fünften (Jer. 36,9) Jahr seiner Regierung in Jerusalem war, kann er nicht im dritten Jahr seiner Regierung nach Babylon in die Gefangenschaft geführt worden sein!

Demnach muss die Deportation Jojakims im letzten Jahr seiner Regierung stattgefunden haben. Dies kommt aber in Konflikt mit 2. Kön. 24,10-12 wonach Jojakims Sohn Jojachin bereits 3 Monate später ebenfalls von Nebukadnezar persönlich gefangen nach Babel geführt wird. Da man ca. 2 Monate für eine Wegstrecke (Jerusalem nach Babylon) braucht, geht sich das zeitlich nicht aus, dass Nebukadnezar Jojakim nach Babylon bringt, um dann anschließen gleich wieder zurück nach Jerusalem zu gehen, um Jojachin mitzunehmen.

Klaus Koch schreibt dazu: „Jojakim ist freilich nie von Nebukadnezar gefangen genommen worden, noch ist eine Deportation jüdischer Bürger während seiner Regierungszeit nachzuweisen. Dan. 1, 1 liegt eine Verwechslung mit der Deportation unter Jojakims Sohn Jojachin 597 v. Chr. vor.[24]

In Buch Jeremia werden am Ende in Kap. 25,28-30 alle(?) Wegführungen aufgeführt:

Abgesehen davon, dass die Zahl der Personen nicht mit dem Text aus 2. Kön. 24,16 übereinstimmt, wird hier die Wegführung von Daniel nicht erwähnt. Warum?

Hat es sie nicht gegeben, oder war sie nicht erwähnungswürdig?

5. Warum wurde ein Sohn Davids nachträglich namentlich auf Daniel geändert?

Vergleicht man 2. Sam. 3,3 mit 1. Chr. 3,1 kann man sehen, dass Davids Sohn Kileab nachträglich in Daniel geändert wurde.

2. Samuel 3,2-3 1. Chronik 3,1-2
Und es wurden David in Hebron Söhne geboren: Sein Erstgeborener war Amnon, von Ahinoam, der Jesreeliterin, und sein zweiter Kilab, von Abigajil, der Frau des Karmeliters Nabal, und der dritte Absalom, der Sohn der Maacha, der Tochter Talmais, des Königs von Geschur, Und das waren die Söhne Davids, die ihm in Hebron geboren wurden: Der erstgeborene Amnon, von Ahinoam, der Jesreeliterin; der zweite Daniel, von Abigajil, der Karmeliterin; der dritte Absalom, der Sohn der Maacha, der Tochter Talmais, des Königs von Geschur;

Das Chronikbuch wurde definitiv später als das Samuelbuch fertiggestellt. Das Kapitel 3 im Chronikbuch kann nämlich erst frühestens Mitte des 5. Jhdts. v. Chr. fertiggestellt worden sein, da es die namentliche Erwähnung des Ur-Ur-Engel von Serubbabel in V. 24 beinhaltet.

Ist das nun eine zufällige Namenänderung, die sich jedoch nicht auf einen Abschreibfehler zurück­führen lässt[25], oder wurde hier bewusst versucht einen Daniel von königlicher Abstammung (vgl. Dan. 1,3) einzubauen?

6. Warum erwähnt Daniel die Rückführung aus dem Exil nicht?

Das Buch Daniel liefert uns Begebenheiten aus Babylon aus den Jahren 605 – 536 v. Chr. (das dritte Jahr Kyros in Kap. 10,1).

Im Jahr 538 v. Chr. gestatte Kyros, im ersten Jahr seiner Regierung[26], den Juden, dass sie nach Jerusalem ziehen dürfen, um ihre Stadt und den Tempel wieder aufzubauen. 42.360 Juden (Esr. 2,46; Neh. 7,66) machen sich unter der Leitung von Serubbabel auf und kehren Heim nach Israel.

Warum hält Daniel diese wichtige Begebenheit nicht für erwähnungswürdig, obwohl er sich ja in Kap. 9 ausführlich mit den 70 Jahren der Gefangenschaft auseinandersetzt? Und warum ist er selbst nicht zurückgekehrt? Warum trauert er stattdessen 3 volle Wochen lang (Dan. 10,2)?

Wenn Daniel unter der Regierung Kyros gelebt hat, muss er definitiv erlebt haben, dass ein Großteil seiner Freude nach Jerusalem zurückgekehrt sind und dass die 70 Jahre der Gefangenschaft nun vorüber sind (siehe 2. Chr. 36,20-23). Warum deutet er die 70 Jahre hingegen prophetisch in die Zukunft?

Ein Schreiber im 2. Jhdt. v. Chr. könnte auf eine Erwähnung verzichten, da er und seine Vorfahren sich ja schon lange wieder in Israel befinden und die Rückführung bereits lange zurückliegt.

7. Wie viele Satrapien gab es?

In Dan. 6,2 setzt Darius der Meder 120 Satrapen[27] über sein Königreich.

Die griechische Übersetzung des Danieltextes liest hier jedoch 127 (ἑκατὸν εἴκοσι ἑπτὰ)[28].

Flavius Josephus berichtet in Antiquitates Judaicae X,249 von 360 Satrapien[29].

Herodot berichtet in seinen Historien III,89, dass Darius (Dareios I. der später regiert als Darius der Meder) 20 Satrapien bestimmt. Er zählt dann die Einkünfte aller 20 Satrapien auf, damit kann es sich bei Herodot um keinen Schreibfehler handeln. Eine Grabinschrift von Dareios I. in Naqsch-e Rostam berichtet von 29 unterworfenen Ländern zur Zeit seines Todes.

Wenn man von einer Verwechslung von Darius mit Dareios absieht, dann ist es trotzdem eigenartig, dass Dareios I., der ca. 18 Jahre nach Darius gelebt hat, sein Reich in nur mehr 20 Satrapien unterteilt. Auch wenn die Angaben von Herodot in der Geschichtswissenschaft bezweifelt werden ist die Zahl von 20 eher wahrscheinlich als die Zahl 120. Siehe: Liste der Satrapien und Satrapen des Achämenidenreiches

Entweder Darius hat 6 Satrapen pro Satrapie eingesetzt, was aber sehr ungewöhnlich wäre, oder das hebräische Wort אחשׁדּרפּן (achaschdarpan), in der LXX jedoch mit σατράπας übersetzt, hat eine andere Bedeutung (allerdings steht es in Dan. 3,2 über den Statthaltern und Verwaltern).

8. Warum bekommen Engel Namen?

Im Buch Daniel werden zum ersten und zum einzigen Mal im Alten Testament Engel mit Namen bezeichnet (Dan. 8,16; 9,21; 10,13.21; 12,1). Gabriel und Michael treten außerhalb des Buches Daniel im AT nicht in Erscheinung.

Interessanterweise tauchen die Engel Gabriel und Michael aber im äthiopischen Henochbuch auf. Dort werden sie in Dan. 9,1 explizit beim Namen genannt[30]. Das Henochbuch welches aus dem 3. Jhdt. v. Chr. stammt fand im Judentum eine große Verbreitung[31] und wird auch im NT in Judas 1,14 zitiert. In der äthiopischen Kirche gehört das Buch übrigens heute noch zum Bibelkanon dazu.

Nun muss man sich die Frage stellen, was wahrscheinlicher ist. Ist es wahrscheinlicher, dass Gott erst nach mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte den Menschen die Namen von Engel offenbart oder ist es wahrscheinlicher, dass ein Schreiber im 2. Jhdt., geprägt durch das Henoch­buch, die bereits bekannten Namen von Engel in seiner Schrift verwendet?

9. Ist Daniel Held oder Autor?

Liest man die ersten 6 Kapitel im Buch Daniel unvoreingenommen, würde man zu der Ansicht kommen, dass Daniel hier der Protagonist der Erzählung ist. Es wird von ihm in der dritten Person gesprochen und nichts deutet darauf hin, dass er selbst den Text verfasst hat. Auch die außerordentlich rühmenswerte Darstellung seiner Person passt nicht gerade gut auf eine demütige Selbstbeschreibung.

Das alles liest sich wie eine Heldenfigur in einem Buch und nicht wie jemand der seine eigene Geschichte aufschreibt.

Erst ab Dan. 7 erfolgt der Wechsel in die Ich-Form und es beginnen die Weissagungen über die Zukunft.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine Aussage aus dem babylonischen Talmud. Dort liest man: „Die Männer der großen Synode[32] schrieben Ezechiel, die zwölf [kleinen Propheten], Daniel und die Esterrolle.[33]

Demnach behaupten die Juden selbst, dass das Danielbuch nicht von Daniel geschrieben wurde.

10. Warum gibt es keine außerbiblischen Belege für Daniel?

Daniel erlebt in Babylon eine außerordentliche Karriere. Es gab niemanden der so weise war wie er (Kap. 1,19-20). Er wurde als Herrscher über die Provinz Babel eingesetzt (Kap. 2,48) und zum Obersten der Wahrsagepriester (Kap. 5,11), zum drittmächtigsten Mann im Reich (Kap. 5,29) und schließlich zum obersten Minister über 120 Satrapien (Kap. 6,2-4). Er scheint bei allen Königen (Nebukadnezar, Belsazar und Darius) in großem Ansehen gestanden zu sein.

Obwohl Daniel eine so wichtige Person war, gibt es keine außerbiblischen Belege für ihn in Babylon.

In diesem Fall kann man den Mangel an Dokumenten nicht auf das Alter der Texte schieben (Papyrusrollen aus dem 6. Jhdt. würden nicht bis in unsere Zeit hin überleben), denn im babylonischen und persischen Reich schrieb man in Keilschrift auf Ton und Stein und davon sind uns tausende Texte erhalten.

Man fand mesopotamische Königslisten[34], Bauzylinder von Nebukadnezar[35] bis Kyros[36] und vieles mehr, jedoch keinen Hinweis auf Daniel.

Auch von den erwähnten Briefen des König Nebukadnezars und des Darius an alle Völker hat man nichts gefunden. In Kap. 3,29 heißt es: „So ergeht nun von mir der Befehl, der jedes Volk, jede Nation und Sprache betrifft: Wer über den Gott Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos etwas Verächtliches sagt, soll in Stücke gehauen werden, und sein Haus soll zu einem Misthaufen gemacht werden.“[37] in Kap. 3,31 weiter: „Der König Nebukadnezar an alle Völker, Nationen und Sprachen, die auf der ganzen Erde wohnen: Euer Friede werde groß!“ und in Kap. 6,26: „Dann schrieb der König Darius an alle Völker, Nationen und Sprachen, die auf der ganzen Erde wohnten: Euer Friede sei groß!“.

Wenn von den Königen Befehle an alle Völker der Erde ausgehen, betreffs eines Befehles oder eines Gottes, den man fürchten soll, dann müsste es doch unzählige Abschriften davon geben (auch in anderen Sprachen). Warum hat man hier jedoch nichts diesbezüglich gefunden?

11. Wer ist Darius der Meder?

Nach Dan. 6,1 übernimmt „Darius der Meder“ die Königsherrschaft, als er 62 Jahre alt war. Der Vers schließt unmittelbar an Kap. 5 an, wo es um die bekannte Schrift an der Wand und um den Tod von Belsazars dem babylonischen König geht.

Der Text liest sich so, als ob es sich in Kap. 5 um das Festgelage handelt, welches auch bei Herodot in Historien I,191 beschrieben ist. Er schreibt u.a.:

Hätten die Babylonier vorher davon Kunde gehabt oder das, was vonseiten des Cyrus geschah, bemerkt, so würden sie die Perser nicht so leicht in die Stadt haben kommen lassen …  Jetzt aber fielen die Perser über sie ganz unvermutet her … da sie gerade ein Fest feierten, in der ganzen Zeit tanzten und in Freuden lebten, bis alsbald die Kunde auch zu ihnen drang. Auf diese Weise also wurde Babylon damals zum ersten Mal erobert.“

Hier bei Herodot ist es aber Kyros II. der Babylon einnimmt. Ebenso bei Flavius Josephus in Antiquitates Judaicae X,245-247:

Als Daniel so dem König die Bedeutung der Schrift an der Wand erklärte hatte, befiel den Baltasar, wie leicht erklärlich, ob der Verkündigung seines Unglücks schwere Trübsal. … Nicht lange darauf wurde er auch wirklich gefangen genommen und die Stadt erobert, da der Perserkönig Cyrus gegen ihn zu Felde zog. Baltasar nämlich ist es, unter dessen Regierung Babylon fiel, nachdem er siebzehn Jahre lang geherrscht hatte.“

Auch Xenophon berichtet in Kyrupädie VII 5,15.32-33 von einem Fest:

Die Gräben waren bereits ausgehoben. Als Kyros hörte, daß in Babylon ein Fest gefeiert wurde, bei dem alle Babylonier die ganze Nacht trinken und tanzen, nahm er in dieser Nacht, sobald es dunkel geworden war, viele Männer mit und öffnete die Gräben zum Fluß hin … Die Soldaten führten diese Befehle aus, und Gadatas und Gobryas kamen zu Kyros zurück. Dann huldigten sie zuerst den Göttern, weil sie den gottlosen König bestraft hatten; darauf küßten sie Kyros' Hände und Füße und vergossen viele Tränen vor lauter Glück und Freude. Als es Tag wurde und die Besatzung der Burg erfuhr, daß die Stadt eingenommen und der König tot war, übergaben sie auch die Burg.“[38]

Die Nabonid-Chronik ABC7 berichtet folgendes:

Am 15. Tašrîtu fiel Sippar ohne Kampf und Nabonaid floh... Am nächsten Tag betrat Ugbaru von Gutium und die Armee von Kuraš kampflos Babylon... Später wurde Nabonaid festgenommen, als er nach Babylon kam... Bis zum Ende des Monats schütze die Armee der Gutäer Esagila und die anderen Tempel... Kein Fest wurde verpasst... Am 3. Arahsamna wurden Kuraš bei seinem Einzug grüne Zweige ausgebreitet... Der Stadt Babylon wurde der Frieden verkündet... Ugbaru[39] stellte als neuer Statthalter weitere Unterstatthalter ein...[40]

Und Flavius Josephus zitiert in Contra Apionem I, 150 den Geschichtsschreiber Berossos:

Im siebzehnten Jahr von dessen Herrschaft zog Kyros mit großer Streitmacht aus Persien heraus; nach der Unterwerfung des gesamten restlichen Herrschaftsgebietes rückte er vor gegen Babylonien. Naboned bemerkte seinen Anmarsch, trat ihm mit seiner Streitmacht entgegen und lieferte ihm eine Schlacht; er unterlag, entkam mit wenigen Leuten und wurde in der Stadt Borsippa eingeschlossen. Kyros aber nahm zunächst Babylon ein und ordnete an, die äußeren Mauem der Stadt niederzureißen, weil die Stadt ihm allzu wehrhaft und uneinnehmbar erschien; sodann zog er weiter gegen Borsippa, um (dort) Naboned durch Belagerung niederzuzwingen. Naboned aber ließ es nicht ankommen auf eine Belagerung, sondern ergab sich schon vorher; daraufhin zeigte Kyros sich großzügig und wies ihm Karmanien als Exilwohnsitz zu; so verbannte er ihn aus Babylonien. Naboned nun verlebte den Rest seiner Zeit in jenem Land und beschloss dort sein Leben.“

Dem Textbefund nach war Kyros II. persischer König als Babylon eingenommen wurde. Nach der Nabonid-Chronik war ein gewisser Ugbaru (Xenophon nennt ihn Gobryas[41]) an der Einnahme beteiligt und wurde von Kyros als Statthalter eingesetzt. Ugbaru starb jedoch ca. 1 Woche später[42].

Dieser Ugbaru wird von einigen Auslegern[43] mit Darius dem Meder gleichgesetzt. Übereinstimmend sind hier 3 Merkmale:

Dagegen spricht aber folgendes:

Unklar ist auch, wer der in Dan. 9,1 erwähnte Ahasveros (Vater des Darius) gewesen sein soll.

Es bleibt die Frage, wer genau dieser Darius der Meder sein soll[46], der hier als König bezeichnet wird und warum Daniel hier nicht einen allgemein bekannten Namen nennt?

12. Warum wird Daniel im Sirachbuch nicht gelobt?

Im Buch Jesus Sirach gibt es in den Kapitel 44-49 das sogenannte „Lob der Väter der Vorzeit“ geschrieben um ca. 190 v. Chr.[47]

Es beginnt mit „Lasst uns loben berühmte Männer, unsre Väter von Anfang an…“ und es werden Männer wie Abraham, Pinhas, Josua, Kaleb, Hiskia, Jesaja, Jeremia, Hesekiel, die zwölf Propheten bis hin zu Serubbabbel und Nehemia erwähnt.

Daniel wird in dieser Aufzählung jedoch nicht erwähnt!

War er kein berühmter Mann, der erwähnenswert war, oder war das Danielbuch zur Zeit Jesus Sirachs noch gar nicht fertig und noch nicht im Kanon vertreten?

Da es sich hier um ein „Argumentum e silentio“, also eine Schlussfolgerung aus dem Schweigen handelt, ist es natürlich kein starkes Argument für eine Spätdatierung des Danielbuches, es ist aber zumindest erwähnenswert.

13. Nebukadnezar oder Nebukadrezar?

Der Name Nebukadnezar taucht in der Bibel in fünf unterschiedlichen Schreibweisen auf:

Wenn man die Hilfsvokale (Mater lectionis) weglässt bleiben zwei Schreibweisen übrig: Nebukadnezar und Nebukadrezar.

Der korrekte babylonische Name lautet Nabū-kudurrī-uṣur[48]. Der hebräische bzw. aramäische Name ist demnach eine Transkription des babylonischen Namens.

Die korrekte hebräische und auch aramäische Transkription wäre NBKDRZR bzw. mit Vokalen Nebukadrezar (mit r).

Auffallend in der Bibel ist nun, dass die korrekte Schreibweise (mit r) nur in den frühen Büchern vorkommt, nämlich in Jeremia und Hesekiel. Beide Bücher werden ins 6. Jhdt. v. Chr. datiert.

Die späten Bücher aus dem 5. Jhdt. v. Chr., in denen der Name Nebukadnezar erwähnt wird, nämlich Esra, Nehemia, Esther, Könige, Chronik und Daniel verwenden die falsche Schreibeweise (mit n)[49].

Da Daniel von Nebukadnezar weggeführt wurde, er den König äußerst gut kannte und sowohl Hebräisch als auch Aramäisch inklusive der Keilschrift (siehe Kap. 1,4) kannte, müsste man doch davon ausgehen, dass Daniel den Namen von Nebukadnezar korrekt überliefern kann. Dies passiert aber nicht. Wir finden im Danielbuch die falsche, spätere Schreibweise von Nebukadnezar!

Auffallend ist auch, dass Nebukadnezar innerhalb des Buches unterschiedlich geschrieben wird. Manchmal ohne Hilfsvokalen (Mater lectionis) und andere Male mit Hilfsvokalen.

Warum gibt es hier keine Einheitlichkeit, wenn das Buch von nur einem Schreiber stammt?

14. Vier-Reiche-Theologie

In Daniel 2 hat Nebukadnezar einen Traum von einem großen Standbild. Dieses Bild besteht aus Gold, Silber, Bronze und Eisen, wobei das Eisen teilweise mit Ton vermischt ist (V. 32-33). Diese Metalle bzw. Stoffe werden anschließend von Daniel als Königreiche gedeutet.

Im Bahman Yašt (auch Zand ī Wahman yasn genannt), einer zoroastrischen, apokalyptischen Text in Mittelpersisch, findet man in Kapitel 1 eine Parallele. Zarathustra hat hier einen Traum in welchem er einen Baum mit vier Ästen sah. Ahura Mazda deutet die Äste als vier zukünftige Perioden von Königen. Die Äste sind interessanterweise aus Gold, Silber, Stahl und ein Ast aus gemischtem Eisen.

Der Text lautet wie folgt:

3. Aûharmazd spoke to Zaratûst the Spîtâmân thus: 'That root of a tree which thou sawest, and those four branches, are the four periods which will come. 4. That of gold is when I and thou converse, and King Vistâsp shall accept the religion, and shall demolish the figures of the demons, but they themselves remain for. . . . concealed proceedings. 5. And that of silver is the reign of Ardakhshîr the Kayân king (Kaî shah), and that of steel is the reign of the glorified (anôshak-rûbân) Khûsrô son of Kêvâd, and that which was mixed with iron is the evil sovereignty of the demons with dishevelled hair of the race of Wrath, and when it is the end of the tenth hundredth winter (satô zim) of thy millennium, O Zaratûst the Spîtâmân!'[50]

Diesen Text zu datieren ist schwer, brauchbare Informationen gibt es dazu nicht. Dieser Text kann spät geschrieben sein (im Mittelalter) oder auch auf die Zeit Zarathustras zurückgehen.

In Qumran wurden zwei Texte gefunden, die unter dem Namen 4QFour Kingdomsa,b veröffentlich wurden. In den Texten, die ins 1. Jhdt. v. Chr. datiert werden[51], geht es um vier Bäume die Königreiche darstellen. Babylon wird als erster Baum genannt und Persien als ein weiterer (siehe dazu Dan. 4, wo Nebukadnezar als Baum dargestellt wird). Auch hier ist nicht eindeutig zu sagen, ob die Texte erst im 1. Jhdt. v. Chr. erdacht wurden, oder ob sie auf eine ältere Überlieferung zurückgehen.

Eine weiter Parallele gibt es jedoch bei dem griechischen Schriftsteller Hesiod. In seinem Lehrgedicht „Werke und Tage“ (um 700 v. Chr. datiert) berichtet er von mehreren Zeitaltern, die durch vier Metalle dargestellt werden: Ein goldenes, ein silbernes, ein bronzenes und eines aus Erz[52].

Entweder haben alle diese Beispiele ihre Idee bei Daniel abgeschaut, oder es war zur Zeit Daniels bereits eine Tradition/Überlieferung im Umlauf, die der Schreiber vom Buch Daniel aufgegriffen hat. Es ist aber jedenfalls sehr unwahrscheinlich, dass zwei verschiedene Autoren unabhängig auf dieselbe Idee kommen mehrere Großreiche mit sehr ähnlichen Stoffen zu beschreiben.

15. Wie soll man sich die Löwengrube vorstellen?

In Daniel 6 wird eine Löwengrube (גֻבָּא דִּי אַרְיָוָתָא) beschrieben, die sich mit einem Stein vollständig verschließen lässt (V. 18 und V. 24). Der Beschreibung nach muss man sich hier wohl eine Zisterne vorstellen (vgl. Jer. 38,6).

Diverse antike Könige dürften sich Löwen und wilde Tiere zur Jagt und zu Repräsentationszwecken gehalten haben[53], jedoch eher in einem Gehege. Eine Grube, die man mit einem Stein verschließen kann, in welcher dann völlige Dunkelheit herrscht, war sicher keine Art, um Löwen zu halten.

16. Das Gebet des Nabonid

In Qumran hat man 1952 in Höhle 4 einen Text gefunden, der als „Gebet des Nabonid“ bekannt wurden (4Q242 bzw. 4QPrNab). Dieser Text weist starke Parallelen zu Dan. 4 auf, wo Nebukadnezar 7 Jahre lang krank ist bis er erkennt, „dass der Höchste Macht hat und das Königtum der Menschen gibt wem er will.“ (4,14.22).

Der gefundene Text lautet folgendermaßen (rekonstruierte Wörter in Klammer):

1 Die Worte des Ge[b]ets, welches gebetet hat Nabunay, de[r] König von Babylon, der [große] König, als er geschlagen war 2 mit einem bösen Geschwür durch den Erlass G[ott]es in Teman: [Ich, Nabunay, war mit einem bösen Geschwür] 3 geschlagen sieben Jahre lang. Und nach[dem] i[ch] gleich [einem Tier geworden war, erhörte Gott meine Stimme (?),] 4 und meine Sünde[n] hat er mir vergeben. Ein Wahrsager/Deuter – und zwar ein Jude v[on den Leuten des Exils – war zu mir gekommen und hatte gesagt:] 5 „gib schriftlich (davon) Kunde, um Ehre und Grö[ß]e zuteil werden zu lassen dem Namen [des Höchsten] G[ottes…][54]

Die Handschrift wurde aufgrund paläographischer Vergleiche ins 1. Jhdt. v. Chr. datiert. Armin Lange und Marion Sieker[55] rechnet aufgrund der archaischen Orthografie auf eine Abfassungszeit im späten 4. oder frühen 3. vorchristlichen Jahrhundert. Florentino García Martínez nimmt sogar das 5. Jahrhundert v. Chr. an[56].

Aus der Nabonid-Chronik weiß man jedenfalls, dass Nabonid 10 Jahre lang aus unbekanntem Grund in Teman war. Von Nebukadnezar erfährt man aus babylonischen Texten nichts über sein Ende.

Es ist schwer hier belastbare Schlüsse zu ziehen welche Darstellung älter und welche realistischer ist. Jedenfalls ist es aber fraglich, warum dasselbe Geschehen von Nebukadnezar in einer anderen Quelle von Nabonid berichtet wird.

17. Warum gibt es auffällig viele Parallelen zwischen Josef und Daniel

Betrachtet man den biblischen Bericht von Josef und Daniel fallen einem auffällig viele Parallelen auf. Folgendes trifft auf beide Personen zu:

Sind das alles nur rein zufällige Übereinstimmungen, oder wurde Daniels Geschichte auf Grundlage der bereits vorhandenen Josef-Geschichte konstruiert?

18. In welche Zeit passt die Kernbotschaft Daniels?

Das Buch Daniel kann, dem biblischen Bericht nach, erst frühestens nach dem Jahr 536 v. Chr. fertiggestellt worden sein, da sich die Kapitel 10-12 im dritten Jahr des Kyros abspielen[57]. Zu dieser Zeit sind nach Esr. 2 bereits ca. 50.000 Männer mit ihren Familien unter Serubbabel nach Israel heimgekehrt. Kommt Daniel mit seiner Botschaft Tora-treu im Exil zu leben damit nicht etwas zu spät?   

Das Buch Daniel soll Trost und Hoffnung in schwierigen Zeiten spenden und das Wissen verstärken, das Gott Herrscher ist und alles in der Hand hat, ebenso gibt es Hoffnung auf eine Auferstehung für die bereits Verstorbenen. Wie passt diese Botschaft in die Zeit des späten 6. Jhdt. v. Chr? Das Volk kehrte ja in Frieden heim nach Jerusalem, feierte das Laubhüttenfest und das Passa und baute den Tempel wieder auf. Und die die nicht heimkehrten waren in Babylon assimiliert und lebten dort in Frieden, ohne unterdrückt zu werden. Auch durften sie ihre Religion frei ausüben.

Datiert man das Buch hingegen ins 2. Jhdt. v. Chr. in die Zeit von Antiochus IV. macht die Botschaft durchaus Sinn. Das Volk war unterdrückt, durfte nicht mehr Thora-treu leben, in Jerusalem wurde eine griechische Polis errichtet und es gab tausende Märtyrer, die ihr Leben verloren, weil sie an der Thora festhielten. Hier macht die Auferstehungshoffnung die Daniel bietet weit mehr Sinn.

19. Warum wird Daniels Jahrwochen Prophetie im NT nicht erwähnt?

Wenn sich Daniels Prophetie über die 70 Jahrwochen aus Kap. 9 wirklich detailliert in Jesu Christus erfüllt, wie es die meisten konservativen Kommentatoren annehmen, warum wird sie dann von keinem neutestament­lichen Autor aufgegriffen? Keiner erwähnt die Erfüllung dieser Prophetie auch nur ansatzweise! Selbst Matthäus, der in seinem Evangelium alle möglichen alttestamentlichen Anspiel­ungen auf Jesus bezieht, erwähnt die Prophetie aus Daniel 9 nicht.

Die einfachste und logischste Erklärung dafür ist, dass die NT-Autoren die Prophezeiung nicht in Jesus erfüllt sahen und Daniels Prophetien nicht als messianisch verstanden.

20. War Belsazar wirklich König?

In Kapitel 5,1; 7,1; 8,1 wird Belsazar als König bezeichnet (בֵּלְשַׁאצַּר מַלְכָּא). Da man bis vor ca. 150 Jahren noch keine archäologischen Belege hatte, dass es einen Belsazar überhaupt gegeben hat, wurde seine Existenz angezweifelt. Mittlerweile hat man aber Keilschrifttexte gefunden, welche den Namen Belsazars als Sohn Nabonids bestätigen (z. B. den Nabonid-Zylinder aus Ur[58]). Seine Historizität wird also nicht mehr bezweifelt.

Dass Belsazar jedoch König war, wie es das Buch Daniel darstellt, davon liest man in den Textfunden nichts. In der Nabonid-Chronik, welche von den letzten Jahre Nabonids spricht während er in Teman abwesend war, wird Belsazar (Bel-šarru-uṣur) nur als Kronprinz bzw. Reichsverweser bezeichnet, sein Vater Nabonid hingegen weiterhin als König.

Interessant ist auch, dass die Abwesenheit Nabonids in Teman dazu führte, dass das Akitu-Fest[59] nicht gefeiert werden konnte. Bei diesem Fest wird die Herrschaft des Königs für ein Jahr erneuert. Sein Ausfall in diesen Jahren zeigt, dass Belsazar während des Fernseins seines Vaters nicht offiziell als König oder Vizekönig amtierte!


Fußnoten

[1] Hitzig, Ferdinand, 1850. Das Buch Daniel, Leipzig: Weidmann, S. IXf.

[2] MacDonald, William, 2010. Kommentar zum Alten Testament 2. Auflage., Bielefeld: CLV, S. 1065

[3] Porph. FGrHist 260 F 36.

[4] Vaticinium ex eventu

[5]Nun weiß man allerdings, daß solche Pseudepigraphie (von gr. pseudo und epigraphein = ‚falsch zugeschrieben‘) in der Antike sehr verbreitet war. So schreiben Schüler ihre Werke unter dem Namen des Lehrers als Zeichen des Respekts. Von den Schülern des Pythagoras ist das so überliefert. Und noch der Kirchenlehrer Tertullian war der Meinung, daß die Werke von Schülern als das Werk des Meisters angesehen werden sollen.“ in Bauer, Dieter, 1996. Das Buch Daniel, Stuttgart: Verl. Kath. Bibelwerk, S. 31

[6]Wichtig ist, dass sich Christus nicht nur auf ein alttestamentliches Buch namens »Daniel« bezog, sondern auf Daniels persönliche Übermittlung, da dia im Genitiv immer eine persönliche menschliche Übermittlung andeutet.“ in Archer, Gleason L., 2015, Schwer zu verstehen? Biblische Fragen und Antworten, Bielefeld: CLV, S. 366

[7] Liebi, Roger, 2009. Weltgeschichte im Visier des Propheten Daniel, Bielefeld: CLV, S. 40

[8] Zitiert nach: Auberlen, Carl August, 1854. Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis, Basel: Bahnmaier, S. 9

[9] „Gebet des Asarja“, „Lobgesang der drei Freunde Daniels im Feuerofen“, „Susanna im Bade“ und „Bel und der Drache“

[10] Dietrich, Walter (Hrsg.), 2017. Die Welt der Hebräischen Bibel, Stuttgart: Kolhammer, S. 73; So auch Lewis Bayles Paton in Review: The Book of Daniel, S. 229 https://www.jstor.org/stable/3155853

[11] Vgl. R. K. Harrison: a.a.O., S. 1125. Eine Zusammenfassung über den aktuellsten Stand der Aramäisch-Forschung im Buch Daniel bietet folgende Publikation: K.A. Kitchen: Notes, a.a.O., S. 31ff. vgl. auch: G.L. Archer Jr.: The Aramaic of the »Genesis Apocryphon« Compared with the Aramaic of Daniel, New Perspectives on the Old Testament, hrsg. von J.B. Payne, Waco/London, 1970, S. 160-169.

[12] Liebi, Roger, 2009, Weltgeschichte im Visier des Propheten Daniel, Bielefeld: CLV, S. 33

[13] Liebi, Roger, 2009, Weltgeschichte im Visier des Propheten Daniel, Bielefeld: CLV, S. 70

[14]Daß die Schlußredaktion des uns heute vorliegenden Buches erst in der Makkabäerzeit erfolgt sein kann, darüber herrscht heute Einstimmigkeit.“ in Alfred Mertens. Das Buch Daniel im Lichte der Texte vom Toten Meer, Echter Verlag Würzburg 1971, S. 14

[15] Man könnte dem entgegenhalten, dass Daniel zu dieser Zeit nicht mehr im Amt war (er war sozusagen in Rente).

[16] Eine Aussage im Babylonischen Talmud Berakhot 63a könnte darauf hindeuten, dass Daniel umstritten war.

[17] Auch im qumranischen Florilegium 4QFlor 2,3 wird Daniel als Prophet bezeichnet.

[18] Septuaginta (Buchtitel und Anordnung)

[19] Es ist unklar, ob sich da „sie“ in Vers 2 in „er brachte sie ins Land Schinar“ nur auf die Tempelgeräte oder auch auf Jojakim bezieht. 2. Chr. 36,5-8 berichtet jedoch von einer Wegführung Jojakims.

[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Jojakim

[21] Nabū-kudurrī-uṣur II. (7. Sept. 605 nach Weippert HTAT)

[22] Schlacht bei Karkemiš

[23] Josephus Flavius berichtet in Antiquitates Judaicae X,97 hingegen, dass Jojakim von Nebukadnezar in Jerusalem umgebracht wurde.

[24] Koch, Klaus, 1961. Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Daniel. Historische Zeitschrift Nr. 193(1), Oldenbourg Wissenschaftsverlag, S. 21

[25] כִלְאָב und דָּנִיֵּאל haben keine zu verwechselnden Konsonanten.

[26] Siehe Esr. 1,1

[27] Ein Satrap ist ein Statthalter einer größeren Provinz.

[28] Siehe auch Ester 1,1 wo der persische König Ahasveros über 127 Provinzen herrscht.

[29] Vielleicht rechnet Josephus 3 Satrapien pro Satrap?

[30] Project Gutenberg's Etext of Das Buch Henoch, translated by A. G. Hoffmann

[31] Siehe auch die Funde 4Q201 bis 4Q202, 4Q204 - 4Q212 und 1Q19 in Qumran.

[32] Die Männer der großen Synode sind nicht näher beschriebene Personen aus der Zeit zwischen Serubbabel und Alexander dem Großen.

[33] Baba Batra 15a

[34] Mesopotamian Chronicles

[35] https://www.khm.at/objektdb/detail/376851/

[36] Kyros-Zylinder

[37]Eine derartige königliche Anordnung dürfte kaum der historischen Realität entsprochen haben. Edikte, die für lästerliches Reden gegen einen Gott oder eine Religion Strafen ankündigten, sind für die Perserzeit und auch für die hellenistische Zeit nicht belegt.“ in Braasch, Birte, 2003. Die LXX-Übersetzung des Danielbuches, Lübeck, S. 123

[38] Nickel, Rainer, 1992. Xenophon Kyrupädie: Die Erziehung des Kyros, München: Artemis & Winkler, S. 517

[39] Andere übersetzen hier „Gubaru“

[40] Der Fall von Babylon

[41] https://de.wikipedia.org/wiki/Gobryas_I.

[42] Kyros betritt Babylon am 29.10.539 und Ugbaru stirbt am 6.11.539 v. Chr. Siehe: Weippert, Manfred. et al., 2010. Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 444; Gressmann, Hugo, 2011. Altorientalische Texte zum Alten Testament, Berlin: De Gruyter, S. 368

[43] John C. Whitcomb in Darius, The Mede; Robert Dick Wilson in Studies in the Book of Daniel II (S. 229); Sir Robert Anderson in The Coming Prince (S. 96)

[44]Es war Gobryas, ein Assyrer in vorgerücktem Alter.“

[45] Cyrus Cylinder Translation (22-23)

[46]Historisch nämlich hat es einen medischen König namens Darius nie gegeben. Auch haben nicht die Meder Babel erobert, sondern die Perser unter Kyrus.“ in Bauer, Dieter, 1996. Das Buch Daniel, Stuttgart: Verl. Kath. Bibelwerk, S. 129; „There is non way of reconciling the book of Daniel with assured history.” in Rowley, H. H., 1959. Darius the Mede an the Four World Empires in the Book of Daniel, Cardiff, S. 175

[47] Siehe Andreas Eberharter, Der Kanon des Alten Testaments zur Zeit des Ben Sira auf Grund der Beziehungen des Sirachbuches zu den Schriften des A.T. dargestellt, Münster 1911 (ATA III/3) und Pancratius Beentjes, The Book of Ben Sira in Hebrew. A Text Edition of all extant Hebrew Manuscripts and a Synopsis of all parallel Hebrew Ben Sira Texts (VT.S 68), Leiden/New York/Köln 1997 (reprint Atlanta 2006).

[48] Nabū-kudurrī-uṣur II.

[49] In 2. Kön. 24-25 wird ebenfalls die falsche Schreibweise verwendet, obwohl es ins 6. Jhdt. v. Chr. datiert wird. Allerdings findet man im älteren Parallelbericht in Jer. 52 die korrekte Schreibweise.

[50] BAHMAN YAST

[51] Hogeterp, Albert L. A., 2010. Daniel and the Qumran Daniel cycle: Observations on 4QFour KingdomsA–B (4Q552–553) in Popović, Mladen. Authoritative Scriptures in Ancient Judaism. Leiden: Brill, S. 191

[52] Hesiodos: Werke und Tage

[53] Löwenjagt Bild

[54] Zitiert nach Steudel, Annette, 2001. Die Texte aus Qumran II, Darmstadt: WBG, S. 163

[55] Armin Lange; Marion Sieker,. Gattung und Quellenwert des Gebets des Nabonid. in: Heinz-Josef Fabry; Armin Lange; Hermann Lichtenberger (Hrsg.), 1996. Qumranstudien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 3-34.

[56] Martínez, Florentino García, 1992. The Prayer of Nabonidus. A New Synthesis. in: Ders.: Qumran and Apocalyptic. Studies on the Aramaic Texts from Qumran. Leiden: Brill, S. 116-136.

[57] Kyros II. war zwar bereits ab ca. 559 v. Chr. persischer König, der Beginn der Regierungszeit in der Bibel richtet sich aber nach der Einnahme Jerusalems im Jahr 539 v. Chr. als Kyros das Babylonische Reich endgültig besiegte. Siehe dazu die Datierung des Kyros-Zylinder und die Berichte über Kyros im Buch Esra, Daniel und 2. Chr.

[58] Nabonidus Cylinder from Ur Er wird hier als ältester Sohn Nabonids bezeichnet.

[59] https://de.wikipedia.org/wiki/Akitu