Dr. Peter Borger / Pieter Borger / Peer Terborg

Peter Borger (MSc, PhD) ist ein niederländischer Molekularbiologe, der mittlerweile in Lörrach (Deutschland) lebt und seit 2019 für den kreationistischen Verein Wort und Wissen arbeitet. Er ist ein Vertreter des Kreationismus und ist theologisch der Pfingst-Charismatischen Szene zuzuordnen. Borger ist verheiratet und hat zwei Söhne. Einer davon ist Torik Borger, der auf Instagram, Tik Tok und Youtube mit sehr irritierenden Videos aufgefallen ist.

Nach mehreren Korrespondenzen mit beiden Personen muss ich persönlich sagen, dass beide eine sehr arrogante und verstörende Persönlichkeit an den Tag legen. Geblendet von religiösem Fundamentalismus sehen Sie sich überall mit Dämonen konfrontiert. Besonders schlimm ausgeprägt bei Torik Borger, auf den ich hier genauer eingehe, aber auch bei seinem Vater Peter Borger.
Hier zwei Zitate aus einem Schriftverkehr, nur um zu zeigen, wie realitätsfern er seine Meinung vertritt:

„Und ja, Sie können sehr wohl Dämonen haben, die Sie leiten. Genauso wie es leitende Engel (gut) gibt, gibt es auch leitende Dämonen (nicht gut). Der darwinistische Glaube ist ein leichtes Einfallstor für Dämonen. Und Sie würden dann nicht einmal wissen, dass sie bei Ihnen eingezogen sind und dass sie Sie steuern. Sie denken vielleicht, es sei die Psychologie, aber die Psychologie wurde von dämonischen Menschen des 19. Jahrhunderts erfunden. Freud war ein Okkultist. Die meisten seiner Anhänger auch. Psychologie ist vorwiegend Dämonologie [...]“ und „Das Problem mit Atheisten an der Universität ist, dass sie böse sind (von Dämonen geführt werden) und sie versuchten, mich mit Machttricks zu schlagen [...]“.

Nicht nur ich finde Herrn Borger befremden, auch zahlreiche Kommentare im Internet teilen hier meine Meinung. Hier jemand der es auf den Punkt bringt: „De man is duidelijk geschift en paranoide“ - übersetzt: „Der Mann ist eindeutig geistesgestört und paranoid.“ (Quelle)

Aber nun der Reihe nach: Negativ aufgefallen ist mir Peter Borger zum ersten Mal Anfang 2022 während der Corona-Zeit. Borger hat hier zusammen mit der Corona-Skeptikerin Ulrike Kämmerer und anderen Personen einen „externen Peer-Review“ veröffentlicht, wo das Corman-Drosten-Paper kritisiert wurde. Darin wurde behauptet, dass der PCR-Test zum Nachweis von SARS-CoV-2 Viren wesentliche wissenschaftliche Mängel beinhaltet und falsche Ergebnisse liefert. („This paper will show numerous serious flaws in the Corman-Drosten paper […]). Es wurde sogar eine eigene Webseite erstellt dafür erstellt: https://cormandrostenreview.com/report/

Schnell hat sich aber hier herausgestellt, dass es sich hier um eine unfundierte pseudowissenschaftliche Äußerung gehandelt hatte, welche auch öffentlich von einem Experten (Herrn A. Beyer ) kritisiert wurde. (Ausführlich hier und hier)
Anstatt sich diese sachliche Kritik zu Herzen zu nehmen, hat Borger jedoch versucht Herrn A. Beyer zu denunzieren (siehe hier). Er drohte sogar mit dem Corona-Leugner Anwalt Reiner Füllmich.

Schlussendlich hat sich herausgestellt, dass der PCR-Test sehr wohl korrekt funktionierte und die Webseite von Borger ist mittlerweile nicht mehr erreichbar und dem Herrn Füllmich wurde die Zulassung entzogen und er sitzt aktuell (2024) in U-Haft.

Borger hielt auch Vorträge zum Thema Corona-Impfung. Beispielsweise unter dem Titel „Wie sind die verschiedenen Covid-Impfstoffe aus naturwissenschaftlicher Sicht zu beurteilen?“ in der konservativen Bibelgemeinde Pforzheim vom Impfskeptiker Lothar Gassmann. Dieser Vortag wurde auch auf Youtube veröffentlicht, ist aber mittlerweile gelöscht worden. Ich habe mir diesen Vortrag angesehen und die Behauptungen von Borger überprüft und musste feststellen, dass er falsch zitiert bzw. Dinge im Zitat bewusst weglässt, um damit seine Argumentation zu stützen, die das Originalzitat aber keineswegs machen würde. Der Vortrag war jedenfalls sehr einseitig und mit falschen Behauptungen geschmückt. Wissenschaftliches Arbeiten schaut jedenfalls anders aus.
Mit Borger schriftlich zu diskutieren ist übrigens ziemlich mühsam und aussichtslos. Da kommen Behauptungen wie z.B. „Somit ist die Evolutionstheorie eine Pseudowissenschaft, denn wissenschaftliche Theorien müssen falsifizierbar sein. Die Evolutionstheorie ist nicht falsifizierbar.“ Bei solchen Aussachen merkt er gar nicht, dass seine Alternative der Kreationismus / Intelligent Design erst recht nicht falsifizierbar ist (siehe dazu den Abschnitt „Falsifizierbarkeit“ im Artikel „Intelligent Design - Eine Alternative zur naturalistischen Wissenschaft?

Nebenbei bemerkt wäre die Evolutionstheorie einfach zu widerlegen, also falsifizierbar, wenn man beispielsweise versteinerte Kaninchen aus dem Präkambrium finden würde (ein Beispiel des britischen Biologen J.B.S. Haldane); ähnliches ist aber nie geschehen!

Borger hat 2009 auch ein Buch veröffentlicht, auf Niederländisch unter dem Titel „Terug naar de oorsprong“ und 2018 auf Englisch „Darwin Revisited: or how to understand biology in the 21st century“. in welchem er die Thesen Darwins ablehnt und seine eigene (kreationistische) These veröffentlicht.

Hier ein paar Auszüge aus den Rezensionen (übersetzt aus dem Niederländischen):

Ich habe das Buch ausgiebig gelesen und es an anderer Stelle in meinem Blog kapitelweise besprochen. Kurz gesagt, es läuft auf Folgendes hinaus: Borger offenbart in dem Buch Back to Origin, dass er nichts von der Evolutionstheorie versteht. Darüber hinaus stellt sich heraus, dass viele der Beispiele, die er zur Untermauerung seiner eigenen Theorie anführt, ebenfalls nicht verstanden werden und seine Ideen nicht stützen. Auf dieser Grundlage stellt Borger eine Theorie vor, die von vornherein nicht richtig sein kann und objektiv keine wissenschaftliche Theorie sein kann. Dies alles wird durch eine Fülle von Rechtschreibfehlern, Verweisungsfehlern, widersprüchlichen Kapitelüberschriften und fehlenden Abbildungen garniert. Alles in allem sieht der Inhalt des Buches aus, als sei er schnell zusammengeschustert worden. Der Drucker hat zwar sein Bestes gegeben und das Äußere sieht gut aus, aber das Buch hält sicher nicht, was es verspricht.“
Das Buch enthält in der Tat viele Fehler, sowohl in Form von Schreibfehlern als auch von wissenschaftlichen Fakten, über die andere in den verschiedenen Blogs zu seinem Buch bereits ausführlich geschrieben haben. […] Borger tut so, als würde er mit diesem Buch das Ende Darwins einläuten. Das ist eindeutig eine Selbstüberschätzung und eine Überschätzung des Wertes dieses Buches.“
Dieses Buch ist von einem Biologen geschrieben, der sein Fachwissen nutzt, um offene Fragen der Evolutionstheorie zu missbrauchen, indem er diese offenen Fragen mit "Gott hat es getan" erklärt. Der Autor versieht das Ganze mit einem "wissenschaftlichen" Anstrich. Der aufmerksame Leser wird dies jedoch durchschauen und die wahre Natur dieser Mixtur nach ihren Vorzügen beurteilen: kreationistische Pseudowissenschaft und Desinformation mit dem einzigen Ziel, die Evolutionstheorie durch das biblische Schöpfungsmodell zu ersetzen. Wenn Sie Spaß an Desinformation haben und sich Ihre Meinung auf dieser Grundlage bilden wollen, dann ist dieses Buch genau das Richtige für Sie.“

Da solche Rezensionen sehr subjektiv sind, habe ich mir erlaubt eine ausführliche und sachliche Kritik seines Buches hier zu veröffentlichen, welche von Bart Klink stammt, dem Autor der Webseite http://www.deatheist.nl  

Weitere wissenschaftliche Irrwege eines kreationistischen Biologen:

2009 veröffentlichte der Molekularbiologe und Kreationist Peter Borger das Buch Back to the Origins: How the new biology ends the age of Darwin. In kreationistischen Kreisen wurde das Buch enthusiastisch aufgenommen, aber außerhalb machte es wenig Eindruck. Einige wenige reagierten kritisch darauf, darunter auch ich mit einer ausführlichen Rezension (Klink, 2009). Darin habe ich gezeigt, dass Borger wenig von der modernen Evolutionsbiologie versteht, die Literatur missversteht oder falsch interpretiert und eine Reihe elementarer Fehler macht.

Im Jahr 2022 wurde sein Buch von einem Verlag neu aufgelegt, der auch entsprechenden Verschwörungsbücher herausgibt: The Blue Tiger. Dies wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, um die Fehler zu korrigieren, die er in der ersten Fassung gemacht hat. Leider ist das Buch inhaltlich nahezu unverändert geblieben, zumindest in den Punkten, auf die ich in meiner Rezension geachtet habe (den Rest habe ich nicht verglichen). Es enthält also immer noch die gleichen Fehler. Es wurde jedoch ein Kapitel hinzugefügt: "Überlegungen des Autors zur zweiten, überarbeiteten Auflage".

In dieser Reflexion erörtert Borger einige neue Erkenntnisse, die seiner Meinung nach beweisen, was er bereits 2009 vorausgesagt hatte. Allerdings waren seine "Vorhersagen" überhaupt nicht neu (sie waren bereits in älterer Literatur zu finden) - sofern sie überhaupt zutreffen. In anderen Fällen beweisen die neuen Erkenntnisse gar nicht, was Borger behauptet, oder sie wurden von ihm falsch interpretiert. Im Zusatzkapitel fährt er also den gleichen Kurs wie in seinem Buch von 2009 fort; er scheint wenig gelernt zu haben. Sein Laienpublikum wird es wohl ohnehin nicht verstehen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass dieses Buch noch mehr wissenschaftliche Irrtümer eines kreationistischen Biologen enthält. Ich werde diese Schlussfolgerung im Folgenden ausführlich begründen. Auch hier beschränke ich mich auf einige wenige Beispiele, die jedoch für den Rest des hinzugefügten Kapitels exemplarisch sind.

Junk-DNA und der Schraubenschlüssel aus Birkenholz

Borger hat in den letzten Jahren regelmäßig über Junk-DNA geschrieben, und so ist es nicht verwunderlich, dass er auch im Zusatzkapitel ein wenig darüber schreibt. Im letzten Jahr habe ich bereits gezeigt, warum er die Literatur in diesem Bereich falsch darstellt oder sogar in die Irre führt und Schlussfolgerungen aus Studien zieht, die daraus überhaupt nicht hervorgehen (Klink, 2022). Dasselbe gilt für das, was er im Zusatzkapitel dazu schreibt, so dass ich das hier nicht wiederholen will. Bemerkenswert ist allerdings, dass er nun schreibt, dass "fastdas gesamte Genom funktional ist" (Hervorhebung BK), denn früher hatte er noch behauptet, Junk-DNA gäbe es gar nicht (siehe Zitate in Klink, 2022). Bislang hat Borger auf diese Kritik von mir nicht inhaltlich reagiert, aber er hat damals mit viel Stimmenfang auf Twitter reagiert.

Borger erwähnt auch erneut, dass diese Junk-DNA aus "variation-inducing genetic elements" oder "VIGEs" bestehen würde, ein Begriff, den er selbst geprägt hat. Ich habe ihn bereits 2009 auf die Probleme mit diesem Konzept hingewiesen (siehe auch Klink, 2022), aber er geht nicht darauf ein.

Diese VIGEs, so Borger, sind auch die Erklärung für ein klassisches Beispiel für das Funktionieren der Evolution durch natürliche Selektion: den Birkenfalter. Wie sich diese Schmetterlingspopulation in kurzer Zeit von überwiegend hellen Varianten zu überwiegend dunklen Varianten wandelte, sei kein Beispiel für Evolution, "sondern das Ergebnis der Aktivität eines Transposons, oder besser gesagt eines VIGEs" (S. 283).

Die Forschung, die zeigt, dass das Transposon verantwortlich ist (Hof et al., 2016), zeigt einfach die Ursache der Variante, auf die dann die natürliche Selektion wirkt. Es ist also unsinnig, diesen Mechanismus der Evolution nicht als Evolution zu sehen, wie es Borger tut. Übrigens ist die Rolle von Transposons in der Evolution seit Jahren anerkannt, wie ich bereits 2009 dargelegt habe. Seitdem ist die Forschung nicht stehengeblieben und die Klassifizierung wird weiterentwickelt (Makałowski et al., 2019). Borger hat einfach keine Ahnung von der modernen Evolutionsbiologie und glaubt deshalb, damit etwas Bemerkenswertes gefunden zu haben. (Übrigens ist der Verweis auf Hof et al., 2016, im Text falsch. Im Text steht 7, aber in der Bibliographie am Ende ist es 8).

Evolutionsbiologen, die die gemeinsame Abstammung in Frage stellen?

Borger versucht auch bei mehreren Gelegenheiten anhand der Arbeiten angesehener Evolutionsbiologen zu zeigen, dass die gemeinsame Abstammung in Frage gestellt wurde. Ein Beispiel ist Borgers Diskussion von Günter Wagners interessantem Buch Homology, genes, and evolutionary innovation (2014) auf S. 284-285. Wagner erörtert, dass Homologie (Ähnlichkeit in der Form) manchmal auf genetisch unterschiedliche Weise entstehen kann und daher nicht das Ergebnis gemeinsamer Abstammung sein muss. Das Auftreten (ungefähr) desselben Merkmals auf evolutionär unterschiedliche Weise wird als konvergente Evolution bezeichnet. Wagner erörtert auch die verschiedenen Definitionen von Homologie, wie Homologie bestimmt werden kann und eine Vielzahl damit zusammenhängender biologischer und wissenschaftlich-philosophischer Fragen zu diesem Thema. Es ist ein gut recherchiertes und faszinierendes Buch, das meiner Meinung nach einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der modernen Evolutionsbiologie leistet.

Das Buch wirft also überhaupt keine Probleme für die gemeinsame Abstammung auf, wie der ahnungslose Leser aufgrund von Borgers Ausführungen vermuten könnte. Es ist seit langem bekannt, dass verschiedene Evolutionswege zum gleichen Ergebnis führen können. Woher weiß man also, welche Ähnlichkeit aus gemeinsamer Abstammung und welche aus konvergenter Evolution resultiert? Dies ist ein Signal-Rausch-Problem, das in vielen Wissenschaften auftritt. Jede Wissenschaft hat Methoden entwickelt, um diese Art von Problem zu lösen, auch die Evolutionsbiologie.

Betrachtet man verschiedene Beweislinien (Genetik, Embryologie, Anatomie, Fossilien, Experimente), so ist in den meisten Fällen klar, ob es sich um Homologie im evolutionären Sinne (von einem gemeinsamen Vorfahren ausgehend) oder um konvergente Evolution handelt. Wagner geht in seinem Buch auch darauf ein, aber Borger sagt dazu nichts (siehe auch Tschopp & Tabin, 2017; Stewart et al., 2019). Borger gibt vor, dass das Homologie- Argument für die gemeinsame Abstammung nun "erledigt" sei. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, und das geht aus Wagners Buch überhaupt nicht hervor. Ich frage mich, ob Borger das Buch überhaupt gelesen hat.

Das klassische Beispiel für Homologie als Beweis für gemeinsame Abstammung ist die relative Position der Knochen in den Vordergliedmaßen verschiedener (ursprünglicher) Landtiere, ob sie nun zum Schwimmen (Wal), Laufen (Pferd, Hund), Fliegen (Vogel, Fledermaus) oder Greifen (Schimpanse, Mensch) dienen. Diese Ähnlichkeit wurde schon von Forschern vor Darwin (wie Richard Owen) festgestellt, und Darwin lieferte eine überzeugende Erklärung dafür. Heute wissen wir auch, welche Gene dafür verantwortlich sind und wie die Ähnlichkeiten und Unterschiede zustande kommen. Dies wird in jeder Einführung in die Entwicklungsbiologie gut erklärt (siehe z. B. Gilbert & Barresi, 2020). Dies hat sich inzwischen so weit durchgesetzt, dass Evolutionsbiologen homologe Strukturen heute oft per Definition als von einem gemeinsamen Vorfahren stammend betrachten (siehe auch hier). Der Nachweis der gemeinsamen Abstammung gehört in der Biologie längst der Vergangenheit an. Die universelle gemeinsame Abstammung wurde trotz der Auswirkungen des horizontalen Gentransfers auch formell statistisch geprüft und bestätigt (Theobald, 2010).

Genetische Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen

Die genetische Ähnlichkeit zwischen Menschen und Schimpansen ist ein Thema, das die Kreationisten weiterhin beschäftigt. Mehrere Kreationisten (eine bemerkenswerte Ausnahme ist Todd Wood (2011)) haben versucht, den Prozentsatz der Ähnlichkeit in der DNA zu minimieren, darunter auch Borger. Er tat dies bereits 2009 und tut es auch jetzt wieder, sowohl im Zusatzkapitel als auch in einem Vortrag, den er zu diesem Thema hält.

Wie groß die Ähnlichkeit ist, hängt vor allem davon ab, wie genau man vergleicht. Man kann also zu unterschiedlichen Prozentsätzen kommen, die trotzdem alle richtig sind. Dies habe ich auch in meinem Bericht von 2009 erläutert. Außerdem ist das menschliche Genom erst vor kurzem vollständig kartiert worden (Nurk et al., 2022), das des Schimpansen meines Wissens noch nicht. Einige Teile sind schwer zu sequenzieren und einige Teile sind aus technischen Gründen schwer zu vergleichen, so dass ein vollständiger Vergleich (noch) nicht möglich ist. Darüber hinaus wurden inzwischen mehrere Genome von Menschen und Schimpansen kartiert, was zeigt, dass es auch innerhalb der Arten eine recht große Variation gibt (Suntsova & Buzdin, 2020). Auch dies macht den Vergleich noch komplexer, denn welches Genom ist repräsentativ für beide Arten?

Der jüngste und vollständigste Vergleich, der mir bekannt ist, ist der von Marçais und Kollegen aus dem Jahr 2018. Sie kamen zu dem Schluss, dass 96 % des Genoms, das untersucht werden konnte, zu 98 % identisch waren (Marçais et al., 2018). Sie konnten keine vollständigen Genome vergleichen, da diese zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig kartiert waren. Zum Vergleich: Mit der gleichen Methode fanden diese Forscher "nur" 88 % Ähnlichkeit zwischen der Sandrauke und einer eng verwandten Art. Diese beiden genetisch recht unterschiedlichen Pflanzen werden von den Kreationisten zweifellos als zur selben "Baramin" (erschaffenen Art) gehörig betrachtet. Warum diese, aber nicht Menschen und Schimpansen?

Laut Borger beträgt der Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen jedoch 14 % (S. 286). Dieser Prozentsatz ergibt sich aus dem einfachen Vergleich der gemeinsamen DNA-Buchstaben im Verhältnis zur Gesamtzahl der DNA-Buchstaben aus beiden Genomen. Dieser Vergleich ist auf einer so elementaren Ebene falsch, dass ich überrascht bin, dass ein Molekularbiologe ihn anstellen kann. Tatsächlich kann man diesen Vergleich gar nicht anstellen, weil Teile der Genome beider Arten damals noch nicht kartiert waren. Die unähnlichen Teile in Borgers Vergleich liegen dann größtenteils in Teilen, die nicht kartiert wurden. Man kann unbekannte Teile nicht vergleichen, während Borger genau das tut, um auf diese 14 % zu kommen. Ich habe ihn bereits 2009 darauf hingewiesen, aber 2021 macht er denselben Fehler erneut.

Borger glaubt, dass der Kreationist Jeffrey Tomkins diesen Unterschied von 14 % im Jahr 2018 bestätigt hat (vermutlich Tomkins, 2018; Borger gibt hier keinen Hinweis in seinem Buch). Tomkins spricht jedoch von 16 % Unterschied, aber noch wichtiger ist, dass sein großer Unterschied auch auf einem ziemlich grundlegenden mathematischen Fehler beruht, wie hier erklärt wird. Tomkins gewichtet kleine Sequenzen, die sich relativ stark unterscheiden, genauso stark wie viel größere Sequenzen, die sich viel weniger unterscheiden. So kommt er auf eine durchschnittliche Ähnlichkeit von 84 %. Berücksichtigt man jedoch die Sequenzlänge, was sinnvoll ist, wenn man einen möglichst vollständigen Vergleich anstellen will, beträgt die Übereinstimmung 96 %. Dies stimmt gut mit den Angaben der Mainstream-Wissenschaftler in der Literatur überein. Tomkins und Borger kommen also beide zu einem viel zu großen Unterschied, weil sie einen falschen Vergleich anstellen.

In seiner Präsentation zitiert Borger die Originalveröffentlichung des Schimpansengenoms (The Chimpanzee Sequencing and Analysis Consortium, 2005) als Quelle für die 16%ige Differenz in der Zusammenfassung zusätzlich zu Tomkins (2018). Weiter oben in der Präsentation spricht er, basierend auf dieser Quelle, sogar von 20% Unterschied. Diese große Differenz wird jedoch nirgends in dieser Veröffentlichung erwähnt (sie beträgt etwa 4 %). Borger selbst errechnet diese Differenz durch den oben erwähnten Rechenfehler.

In der gleichen Präsentation erklärt Borger auf der Grundlage der Forschungen von Yunis & Prakash (1982), dass es zwischen den beiden Arten "umfangreiche Karyotyp-Unterschiede" gibt. (Karyotyp ist das Erscheinungsbild eines Chromosoms.) Die Forscher selbst sagen jedoch, dass 18 der 23 Chromosomenpaare der Menschenaffen "praktisch identisch" sind und die restlichen 5 "leicht unterschiedlich". Warum stellt Borger ihre Arbeit so falsch dar?

Wie auch immer man die Genome vergleicht, Menschen und Schimpansen sind sich am ähnlichsten, wie man es von einem nahen Verwandten erwarten könnte. Relativ gesehen sind die Unterschiede also am geringsten, auch wenn die absoluten Unterschiede je nach Vergleichsmethode zwischen 99 % und 94 % schwanken. Ich verstehe daher nicht, warum Kreationisten so pingelig sind, wenn es darum geht, wie groß die Ähnlichkeit genau ist - wenn eine aussagekräftige Zahl dafür angegeben werden kann. Eine aktuelle Diskussion der bekannten Ähnlichkeiten, Unterschiede und ihrer Auswirkungen findet sich bei Suntsova & Buzdin (2020).

Interessanterweise sind die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen geringer als die zwischen Organismen, die nach Ansicht der Kreationisten zum selben "Baramin" gehören. Kreationisten müssen also erklären, warum die genetischen Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse ein Problem für einen gemeinsamen Vorfahren darstellen, die größeren Unterschiede zwischen Maus und Ratte jedoch nicht (The Chimpanzee Sequencing and Analysis Consortium, 2005; Demuth et al., 2006). Die Unterschiede zwischen Katze und Tiger sind ähnlich wie die zwischen Mensch und Schimpanse (Cho et al., 2013). Bei der mitochondrialen DNA kann man dies leicht selbst überprüfen, indem man einen BLAST für das mitochondriale Genom von zwei Arten durchführt, die man vergleichen möchte, z. B. Schimpanse-Mensch (91 % identisch) vs. Schimpanse- Gorilla (90 % identisch) oder Maus-Ratte (83 % identisch). Nach welchen Kriterien werden Menschen und Schimpansen in ein separates "Baramin" eingeordnet, aber nicht Mäuse und Ratten oder Katzen und Tiger?
Borger gibt diese Antwort nicht. Die von Borger erdachten "Indikatorgene" helfen hier nicht weiter, denn sie sind zirkulär definiert, wie ich 2009 erläutert habe.

Chromosom 2

Der Mensch hat 23 Chromosomenpaare, während andere Menschenaffen 24 haben. Eine Erklärung dafür, die bereits 1972 vorgeschlagen wurde, ist, dass die Chromosomen von zwei Menschenaffen im Laufe der Evolution zu einem menschlichen Chromosom verschmolzen sind (Yunis & Prakash, 1982). Eine solche evolutionäre Vorhersage kann getestet werden, und dies ist auch ausgiebig geschehen. Yunis & Prakash taten dies bereits 1982, indem sie die Karyotypen der Chromosomen von Mensch und Schimpanse verglichen. Sie fanden heraus, dass unser Chromosom 2 den Chromosomen 2A und 2B des Schimpansen sehr ähnlich ist, was durch den Vergleich der Karyotypen leicht zu erkennen ist. Aber es kommt noch besser.

Die Enden eines Chromosoms werden Telomere genannt und haben eine bestimmte Sequenz (siehe hier für eine Erklärung). In der Mitte befindet sich ein Zentromer, und auch sie haben spezifische Merkmale. Wenn es sich bei Chromosom 2 also um eine Fusion handelt, sollten wir erwarten, dass wir Spuren von zwei Telomeren in der Mitte und ein zusätzliches Zentromer finden. Genau dies wurde auch von Ijdo et al. (1991) festgestellt und später von Fan et al. (2002) bestätigt. Es gibt eine spezifische Umkehrung in der sich wiederholenden Sequenz (eine Sequenz von TTAGGG zu einer Sequenz von CCCTAA) eines typischen Telomermusters an der Stelle der Fusion. Es gibt eine "Kopf-an-Kopf"-Anordnung der sich wiederholenden Telomersequenzen (Ijdo et al., 1991; Fan et al. 2002). Diese Umkehrung ist nirgendwo sonst zu finden, denn es gibt nur eine einzige Fusionsstelle im menschlichen Genom. Fusionen von Chromosomen sind übrigens häufiger (Thomsen et al., 1996; Musilova et al., 2013).

Dies ist also ein wunderbarer Beweis für die gemeinsame Abstammung von Menschen und anderen Menschenaffen und damit ein Dorn im Auge der Kreationisten. Es überrascht nicht, dass sie versuchen, diese Beweise zu widerlegen, so wie es Borger in Anlehnung an den Kreationisten Jeffrey Tomkins tut (S. 287). Sie glauben, dass an der Fusionsstelle ein funktionelles Gen liegt, so dass eine Fusion unmöglich wäre.
Bemerkenswerterweise schrieb Borger noch 2009, dass die Fusion zwar stattgefunden hat, aber innerhalb der menschlichen Abstammungslinie und somit nicht auf eine gemeinsame Abstammung mit anderen Menschenaffen hindeutet (S. 219, in der Neuauflage auf S. 205 wiederholt).

Es gibt eine Reihe von Problemen mit diesem Einwand eines funktionellen Gens. Das fragliche Gen, DDX11L2, ist ein Pseudogen, und es ist keine Funktion bekannt. Borger bestreitet auf Twitter, dass es sich um ein Pseudogen handelt, obwohl es einfach in einer Datenbank gefunden werden kann. Dieses Pseudogen ist eine Kopie eines funktionellen und proteinkodierenden Gens, nämlich DDX11. Er glaubt, dass es kein Pseudogen sein kann, weil es als (lnc)RNA abgeschrieben ist, aber das sagt sehr wenig über die Funktion aus (Ponting & Haerty, 2022), ein Punkt, auf den ich ihn auch schon hingewiesen habe (Klink, 2022). Die Quelle, die er dafür angibt (Cheetham et al., 2020), zeigt dies auch überhaupt nicht. In der Datenbank gibt es zwei Transkriptvarianten, von denen eine neben der Fusionsstelle liegt und die andere um ein Exon darüber. Es ist also nicht klar, ob das Gen selbst über der Fusionsstelle liegt.

Selbst wenn sich herausstellt, dass dieses Gen eine Funktion hat und über der Fusionsstelle liegt, beweist dies nicht, dass die Fusion nicht stattgefunden hat. In der Tat kann das Gen in dieser Variante nach der Chromosomenfusion entstanden sein, zum Beispiel durch Genfusion. Es ist auch gut möglich, dass das Gen durch Umlagerung verschoben wurde, wie die Evolutionsbiologin Jente Ottenburghs auf Twitter vorschlug. Dies ist nicht überraschend, da dieser Locus sehr anfällig für Mutationen ist, einschließlich Duplikation und Translokation zwischen Chromosomen (Fan et al. 2002; Linardopoulou, 2005). Dies sind gut dokumentierte Prozesse und plausible Erklärungen, auch wenn sie in diesem speziellen Fall weiter untersucht werden müssten.

Ironischerweise unterstützt das DDX11L2-Gen tatsächlich die Chromosomenfusion. Dieses Gen ist nämlich Teil einer Genfamilie, und die anderen Gene dieser Familie kommen alle an den Enden der Chromosomen vor (Costa et al., 2009). Was macht also DDX11L2 in der Mitte unseres Chromosoms 2? Beim Schimpansen kommen ähnliche Gene auch auf verschiedenen Chromosomen vor.

Die Fusionsstelle weist also alle Eigenschaften auf, die man erwarten würde, wenn zwei uralte anthropoide Chromosomen hier fusioniert wären. Kreationisten haben keine Erklärung für all diese Eigenschaften.

Epigenetik und Evolution nach Darwin

Borger schreibt auch einen Beitrag über Epigenetik. Dieser Begriff ist etwas verwirrend, weil er sich in der Literatur auf zwei verschiedene Dinge bezieht: wie die Umwelt die Ausprägung der DNA beeinflusst und ob erworbene Merkmale außerhalb der DNA an Nachkommen weitergegeben werden können (Deans & Maggert, 2015). Der erste Punkt ist nicht umstritten und gut bekannt. Der zweite Punkt ist umstrittener, weil es eine beträchtliche Debatte darüber gibt, inwieweit solche epigenetisch übertragenen Merkmale auftreten, wie lange sie bestehen bleiben und welche Rolle sie in der Evolution spielen. Diese Debatte über die Mechanismen der Evolution wird innerhalb der Evolutionsbiologie geführt (Laland et al., 2015; Futuyman, 2017; Chiu, 2022) und stellt die Tatsache der gemeinsamen Abstammung in keiner Weise in Frage.

Borger scheint zu glauben, dass alles, was nicht von Darwin selbst stammt, eine Widerlegung der Evolution ist. Die Evolutionstheorie hat erst mit Darwin begonnen (und bestimmte Elemente sogar schon vorher) und ist seitdem ergänzt, nuanciert und verbessert worden. Das geht bis zum heutigen Tag so weiter. Das habe ich auch in meiner Rezension von 2009 geschrieben. Warum also gibt es immer noch diese Besessenheit von Darwin, das häufige Gerede vom "Darwinismus" und davon, dass moderne Entwicklungen ihn obsolet gemacht haben? Die moderne Evolutionstheorie ist längst über Darwin hinausgewachsen, und jeder Evolutionsbiologe weiß das (Chiu, 2022). Borger greift also einen Strohmann an.

Er gibt auch vor, dass alles, was er 2009 geschrieben hat, seitdem von Wissenschaftlern, sogar von Evolutionsbiologen, bestätigt wurde (S. 290). Sie würden lediglich Argumente wiederholen, die er bereits 2009 genannt hat. Allerdings hat sein Buch in der Diskussion über evolutionäre Mechanismen keine Rolle gespielt (Borgers Buch wird nirgends zitiert), aber was noch wichtiger ist: Soweit das, was er schreibt, richtig ist, sagt er nichts Neues. Die Epigenetik beispielsweise wird seit Jahren in Einführungen in die Evolutionsbiologie behandelt (schon Futuyma, 1986), und die Diskussion darüber unter Evolutionsbiologen in der Literatur reicht noch weiter zurück. Borger spielt dabei keine Rolle. Dass sich die Evolutionstheorie aufgrund neuer Erkenntnisse weiterentwickelt, ist ein Zeichen für solide Wissenschaft. Es ist in keiner Weise ein Argument für den Kreationismus.

Borger geht auch auf den Vortrag des Evolutionsbiologen Gerd Müller auf einem von der Royal Society organisierten Symposium im November 2016 ein. Hier schreibt Borger, dass es laut Müller eine Reihe von "fundamentalen Erklärungslücken" und "ungelösten Problemen" innerhalb des "Darwinismus" gibt, darunter die Entstehung neuer Arten, Radiationen ohne Fossilien und das Fehlen von Übergangsformen (S. 291). Nun kann man sich diesen Vortrag noch einmal anhören, und es stellt sich heraus, dass Müller auf diese Fragen gar nicht eingeht, auch nicht in der Publikation, die auf seinem Vortrag basiert (Müller, 2017). Müller kritisiert zwar die moderne Synthese (die Evolutionstheorie aus der Mitte des letzten Jahrhunderts) und hält sie für ergänzungsbedürftig, wie auch eine Reihe anderer, die für eine erweiterte evolutionäre Syntheseplädieren. Aus den Fragen nach dem Vortrag und dem Vortrag des nächsten Referenten (Futuyma) geht hervor, dass es um die Frage geht, inwieweit Müller diese moderne Synthese richtig wiedergibt und inwieweit sie unter den heutigen Evolutionsbiologen noch als solche anerkannt wird. Dazu wiederum schreibt Borger nichts. Es geht also um die oben erwähnte Diskussion innerhalb der Evolutionsbiologie über die Rolle der verschiedenen Evolutionsmechanismen, insbesondere derjenigen neben Mutation und natürlicher Selektion. Warum stellt Borger Müller und seinen (berechtigten oder unberechtigten) Standpunkt so falsch dar?

Genetische Information

Kreationisten behaupten oft, dass sich die Information im Genom nicht vermehren kann. Das tut auch Borger. Sie bleiben in der Regel vage in Bezug darauf, um welche Informationen es sich hier handelt und was sie als Informationszunahme akzeptieren würden. Dabei ist in der Biologie schon lange vieles darüber bekannt (Kaessmann, 2010; siehe auch Adami, 2012; 2016). Ein wichtiger Mechanismus für die Entstehung neuer Gene ist die Genduplikation. Diese wurde bereits in den 1930er Jahren als Mechanismus vorgeschlagen und vor allem von Susumu Ohno (Ohno, 1970) popularisiert. Das Ergebnis ist, dass viele Gene in Familien vorkommen sollten. Dies hat sich in den letzten Jahren weitgehend bestätigt (Kaessmann, 2010). Die Literatur zu diesem Thema ist inzwischen riesig.

In meiner früheren Rezension habe ich neben einer Reihe anderer Mechanismen auch die Genduplikation erörtert. Ich habe auch gezeigt, warum Borgers Kritik daran nicht haltbar ist. Inzwischen ist die Wissenschaft nicht stehen geblieben. In den Jahren 2010 und 2015 erschienen schöne Übersichten über das, was damals über den Ursprung neuer Gene bekannt war (Kaessmann, 2010; Andersson, 2015), und in den Jahren danach ist die Literatur weiter gewachsen. In den letzten Jahren wurde auch viel über den Ursprung von Genen aus nicht codierenden Teilen des Genoms (de novo) bekannt (Cherezov et al., 2021). Vor kurzem hat die Zeitschrift Genes eine weitere thematische Ausgabe zum Thema Genursprung veröffentlicht: How Do New Genes Originate and Evolve? (völlig kostenlos, für die Einleitung siehe Betrán & Long (2022)).

Übrigens spielt die Duplikation eine weitere wichtige Rolle in der Evolution: In genregulatorischen Netzwerken bietet sie sowohl Robustheit als auch Raum für Variation (Posadas-García & Espinosa-Soto, 2022). So können neue Phänotypen entstehen, ohne dass die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen steigt.

All diese Mechanismen wurden nicht nur indirekt durch vergleichende Genomik beobachtet, sondern einige von ihnen wurden auch direkt beobachtet. Wie neue Funktionen durch Duplikation entstehen, wurde inzwischen im Labor beobachtet (Kassen, 2019). Auch innerhalb derselben Art gibt es Populationen, die mehr oder weniger Duplikate desselben Gens aufweisen, so auch beim Menschen (Nuttle et al., 2016). Populationen innerhalb von Arten stammen nach Ansicht der Kreationisten mit Sicherheit von demselben Vorfahren ab, sodass sie anerkennen müssen, dass Genduplikationen innerhalb von Arten vorkommen.

Auch das Auftreten von de novo proteinkodierenden Genen wurde innerhalb derselben Gattung beobachtet (Cai et al., 2008; Zhang et al., 2019; für eine aktuelle Übersicht siehe Parikh et al., 2022). Genera (Gattungen) werden von Kreationisten als Nachkommen desselben geschaffenen Vorfahren betrachtet. Gene, die ausschließlich in einer bestimmten Art dieser Gattung vorkommen (taxonomisch begrenzte Gene), müssen also nach dem erschaffenen Vorfahren entstanden sein (oder in allen anderen Arten in ähnlicher Weise verloren gegangen sein, was höchst unwahrscheinlich ist). Selbst Kreationisten werden also anerkennen müssen, dass auf diese Weise neue Gene entstehen können.

Novo-Gene sind eine wichtige Quelle für Gene, die kein anderes Gen als Vorgänger haben, wie z. B. Duplikate. Diese Art von Genen wird daher auch als "Waisengene" bezeichnet. Manchmal behaupten Kreationisten (so auch hier), dass diese verwaisten Gene ein Problem für die gemeinsame Abstammung darstellen, weil "für sie keine evolutionäre Abstammung denkbar ist". Borger schreibt in seinem Buch nichts darüber, aber hier tut er es. Er behauptet, basierend auf der Arbeit von Knowles & McLysaght (2009), dass von verwaisten Genen "nicht einmal die DNA-Sequenz im Schimpansengenom wiedergefunden werden kann". Jeder, der den Artikel selbst liest, wird jedoch feststellen, dass nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Zu den drei definitiv verwaisten Genen heißt es bereits in der Zusammenfassung: "Hochwertige Sequenzdaten deuten darauf hin, dass diese Loci in anderen Primaten nicht codierende DNA sind". Es befindet sich also tatsächlich in der DNA von Schimpansen, nur ist es dort kein Gen (sondern nicht-kodierende DNA). Auch hier stellt Borger die Forschung also falsch dar.

Auch in dieser Präsentation behauptet Borger, dass Orphan-Gene "keine evolutionäre Geschichte" haben. Er führt das Gen ARHGAP11B als Beispiel an und verweist auf Florio et al. (2015). Ist die Evolutionsgeschichte hier wirklich unbekannt, wie Borger behauptet? Die negative Antwort ist leicht zu finden, wenn man die Referenz liest. Dort heißt es, dass ARHGAP11B eine verkürzte Version von ARHGAP11A ist, ein Gen, das "im gesamten Tierreich" vorkommt. Die Evolutionsgeschichte ist also ganz klar: Verdoppelung eines weit verbreiteten Gens und Verkürzung. Warum erwähnt Borger dies nicht? Im selben Vortrag verweist Borger auf die Hunderte einzigartiger Gene bei Menschen und Schimpansen, die von Ruiz-Orera et al. (2015) gefunden wurden. Er meint, dass wir keine Ahnung haben, woher diese Informationen stammen, aber das Schimpansengenom scheint fast identische Sequenzen zu enthalten, nur sind es dort keine Gene. Diese Information ist also gar nicht so einzigartig, aber das sagt uns Borger nicht (oder er weiß es nicht).

Es ist jedoch nicht überraschend, dass kein homologes Gen gefunden werden kann, da de novo-Gene aus nicht kodierenden Bereichen des Genoms entstehen. Allerdings sollten wir dann erwarten, dass wir in vielen Fällen nicht-kodierende homologe Sequenzen dieser Gene in verwandten Arten finden. Je besser die Genome (und Transkriptome) kartiert sind und je mehr Organismen betroffen sind, desto besser können die homologen Sequenzen gefunden werden (Xie et al., 2012; Chen et al., 2015; Zhang et al., 2019; siehe auch hier).
Infolgedessen wird der Prozess, durch den evolutionäre Waisengene entstehen, zunehmend aufgeklärt. Eine gute Erklärung findet sich hier, basierend auf Vakirlis et al. (2020).

Borger glaubt in der Präsentation auch, dass es "mindestens 120 einzigartige miRNA-Familien" gibt, aber die Quellen, die er dafür angibt, dieser Link und Berezikov et al. (2006), zeigen das überhaupt nicht. Bei dem Link handelt es sich um eine Umfrage, in der mehrere Personen die Zahl der miRNA-Gene schätzen, nicht der Genfamilien. Berezikov et al. (2006) fanden 447 neue miRNA-Gene, von denen der Mensch die überwiegende Mehrheit mit anderen Organismen, insbesondere anderen Primaten, teilt. Borger spricht in seinem Buch von 130 eindeutig menschlichen miRNA-Genfamilien (S. 287), gibt dafür aber keine Quelle an. Die evolutionären Ursprünge der miRNAs sind ebenfalls seit einiger Zeit bekannt (Berezikov, 2011). Übrigens hat jede Spezies einzigartige miRNAs, sogar Arten, von denen Kreationisten glauben, dass sie zum selben Baramin gehören, was sagen also die einzigartigen menschlichen miRNAs? Übrigens hat sich erst kürzlich gezeigt, dass viele entdeckte miRNAs falsch positiv sind (Fromm et al., 2022).

Es wurde auch experimentell beobachtet, dass eine Funktion aus einer zufälligen Sequenz entstehen kann (Yona et al., 2018; siehe auch Neme et al., 2017). Dafür ist also keine Intelligenz erforderlich, wie Borger glaubt.

Egal, wie viel darüber bekannt ist, Kreationisten werden es ignorieren und weiter schreien, dass sich Informationen im Genom nicht vermehren können und Intelligenz erfordern. In der neuen Version seines Buches geht er nicht auf alles ein, was wir inzwischen darüber wissen, wie neue genetische Informationen entstehen. Er wiederholt in dem hinzugefügten Kapitel lediglich, was er bereits zuvor geschrieben hat.

Er behauptet jedoch, dass, da seiner Meinung nach keine neuen genetischen Informationen entstehen können, alles in den ursprünglichen Genomen verankert sein muss (S. 295). Diese Hypothese hat jedoch ihre Probleme. Das erste Problem ist, dass die obigen Ausführungen zeigen, dass experimentell beobachtet wurde, dass neue Informationen tatsächlich entstehen können. Man könnte auch erwarten, dass, wenn alle Informationen bereits ursprünglich vorhanden waren, wir sie in allen Nachkommen dieses Urgenoms finden müssten, ob sie nun funktionieren oder nicht. Dies ist jedoch nicht der Fall: Wir sehen Unterschiede in der Anzahl der Gene innerhalb derselben Art (siehe z. B. Nuttle et al., 2016). Selbst innerhalb von zwei Organismen, die nach Ansicht der Kreationisten zur selben geschaffenen Art ("Baramin") gehören, wie z. B. Maus und Ratte, sehen wir große Unterschiede in der Anzahl der Gene (Demuth et al., 2007). Diese Unterschiede sind sogar noch größer als zwischen Menschen und Schimpansen, die nach Ansicht der Kreationisten nicht zum selben "Baramin" gehören. Drittens sollten ältere Genome genetisch reicher und weniger degeneriert sein, aber wo ist der Beweis dafür? In der Zwischenzeit sind viele ältere Genome kartiert worden (Paläogenetik), vom alten Ägypten (Schuenemann et al., 2017) bis weit zurück (Orlando et al., 2021), also sollte dieser Beweis gefunden werden.

Dass Genome degenerieren würden, wird häufig von Kreationisten behauptet, manchmal unter dem Begriff "genetische Entropie". Dieser Begriff wurde von dem Kreationisten John Sanford geprägt und wird auch von Borger zitiert. Das klingt wissenschaftlich, ist es aber nicht: Er spielt in der wissenschaftlichen Literatur keine Rolle und es gibt keine Beweise dafür, wie die paläogenetische Forschung hätte zeigen müssen. In der Tat gibt es viele Beweise, die dagegen sprechen. Langfristige Evolutionsexperimente, wie die berühmten E. coli- Experimente von Richard Lenski, zeigen, dass positive Mutationen auftreten und sich in der Population verbreiten. Ausführliche Kritiken an der Idee der genetischen Entropie finden Sie hier, hier und hier, oder von Evolutionsbiologen hier und hier.

Schließlich kann der Kreationist sagen: "Gott hat es einfach so geschaffen". Mit dieser Erklärung kann man sowohl jede (mögliche) Ähnlichkeit als auch jeden Unterschied erklären, was sie zu einer wertlosen Erklärung macht. Außerdem macht sie Gott zum Irreführer: Warum hat Gott die Genome genau so geschaffen, als ob sie evolutionär verwandt wären, wenn sie es in Wirklichkeit nicht sind?

Als Beispiel für ein solches "vorbelastetes" Genom führt Borger das latente Vorhandensein von Genen für das Leben an Land in Fischen an (S. 295). Das ist außergewöhnlich, denn warum sollte eine solche genetische Übereinstimmung vorhanden sein, wenn Vierfüßer (Tetrapoden) nicht aus Fischen entstanden sind, wie Kreationisten glauben? Dies ist jedoch genau das, was man auf der Grundlage der Evolution erwarten könnte: ein weiteres Herumbasteln an dem, was schon da war. Alles "Neue" in der Evolution ist eine Veränderung dessen, was schon vorher da war. So sind zum Beispiel die Hände veränderte Vorderbeine und die Vorderbeine veränderte Flossen. Wie diese Art von Veränderungen zustande kommt, wird immer besser und ausgefeilter, wie ironischerweise in der von Borger zitierten Quelle gezeigt wird (Pennisi, 2021; eine Rezension von Hawkins et al., 2021, siehe auch Woltering et al., 2020; Cass et al., 2021). Eine prägnante und frei zugängliche Einführung in die Entstehung der Tetrapoden und die Fossilien aus diesem Übergang findet sich in Clack, 2009.

Borger schreibt, dass diese Quelle (Pennisi, 2021) zeigt, "wie nur zwei Mutationen Fische in Vierbeiner verwandelten" (S. 295). Das erschien mir sehr plakativ, also habe ich nachgesehen, und das steht da überhaupt nicht. Vielmehr heißt es, dass zwei mutierte Gene dazu führten, dass zwei Knochen in der Flosse des Zebrafisches den Knochen in den Vorderbeinen von Landtieren ähneln, einschließlich Muskeln, Gelenken und Blutgefäßen. Das ist also etwas ganz anderes als das, was Borger behauptet! Die vollständige Entwicklung von Vierbeinern aus Fischen erfordert offensichtlich viel mehr Mutationen als die zwei, die Borger fälschlicherweise glaubt, aus seiner Quelle entnehmen zu können. Diese wunderbare Art der multidisziplinären Forschung, bei der evolutionäre Übergänge immer besser kartiert werden (für eine verständliche Einführung siehe Shubin, 2021), ist Kreationisten natürlich ein Dorn im Auge. Ist das der Grund, warum Borger sie falsch wiedergibt?

Naturalismus

Borger scheint von Atheismus und Naturalismus besessen zu sein, da ihnen alles Mögliche zugeschrieben wird. Diese philosophischen Positionen würden dafür sorgen, dass kreationistische Schlussfolgerungen nicht gezogen werden dürften, und würden sogar den wissenschaftlichen Fortschritt behindern. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Zunächst einmal sind viele Evolutionsbiologen weder Atheisten noch Naturalisten. Viele prominente Kritiker des (Junge-Erde-)Kreationismus sind (offen oder unausgesprochen) gläubig. Francis Collins, Kenneth Miller und, in den Niederlanden, Rene Franssen, Cees Dekker, Gerdien de Jong und Nico van Straalen sind nur einige Beispiele.

Zweitens gibt es einen guten Grund, warum kreationistische Ideen in der Wissenschaft nicht ernst genommen werden: Sie sind nachweislich falsch, beruhen auf Lücken in unserem Wissen oder setzen unüberprüfbare Annahmen voraus. Oben habe ich darauf hingewiesen, dass man mit einem allmächtigen Schöpfer alles erklären kann. Kreationismus ist also einfach schlechte Wissenschaft. Die Evolutionsbiologie ist, wie andere Naturwissenschaften auch, naturalistisch in dem Sinne, dass natürliche Prozesse und Mechanismen beobachtet werden, überprüfbare Vorhersagen gemacht werden können und sie zu fruchtbaren Forschungsprogrammen führt. Das ist es, was die Evolutionsbiologie zu einer guten Wissenschaft macht, und sie kann auch von religiösen Wissenschaftlern sehr gut betrieben werden. Wiederum ist es ironisch, dass gerade die (Junge-Erde-)Kreationisten selbst zugeben, dass kein wissenschaftlicher Beweis sie von der gemeinsamen Abstammung und einer alten Erde überzeugen könnte. Dies ist offensichtlich eine antiwissenschaftliche Haltung.

In Bezug auf überprüfbare Vorhersagen ist zu erwähnen, dass 2007 auf der Grundlage der gemeinsamen Abstammung eine sehr genaue Vorhersage über eine Mutation im GULO-Pseudogen gemacht werden konnte (Klink, 2007). Dies ist ein Defekt, der uns daran hindert, unser eigenes Vitamin C herzustellen. Im Jahr 2007 war bereits bekannt, dass der Mensch an der gleichen Stelle die gleichen Mutationen aufweist wie Schimpansen und Rhesusaffen, einschließlich einer Deletion an Position 97. Man könnte also erwarten, dass dies auch für Gorillas gilt. Diese Vorhersage konnte 2007 nicht getestet werden, da das Gorilla-Genom erst 2012 bekannt war. Nach 2012 konnte sie getestet werden, und es stellte sich heraus, dass auch der Gorilla die Deletion an Position 97 hat, genau wie man es aufgrund der gemeinsamen Abstammung erwarten würde.

Schlussfolgerung

Aus den obigen Ausführungen lässt sich schließen, dass Borger seit der ersten Fassung seines Buches von 2009 wenig gelernt hat. Der größte Teil seines Buches ist praktisch unverändert. Folglich enthält es immer noch dieselben Fehler, selektive Literaturauswertung und irreführenden Umgang mit Publikationen. Borger hat auch immer noch nicht begriffen, dass die moderne Evolutionsbiologie längst über Darwin hinausgewachsen ist, weshalb er ständig einen Strohmann angreift.

Jeder Punkt, den Borger anspricht, ist entweder falsch oder den Evolutionsbiologen schon seit langem bekannt. Ein uninformierter Leser wird dies jedoch nicht erkennen. Er wird denken, dass Borger hier eine Menge Neuigkeiten erzählt und sehr relevante und berechtigte Kritik übt. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, wie ein informierter Leser (insbesondere Biologen) schnell erkennen wird. Das Buch ist auch kein Beitrag zur Wissenschaft. Es ist lediglich die Verteidigung eines fundamentalistischen Glaubens in einem pseudowissenschaftlichen Mantel. Dies galt bereits für die Ausgabe von 2009 und gilt auch heute noch, einschließlich des hinzugefügten Kapitels.

Schließlich möchte ich noch auf Borgers Umgang mit der wissenschaftlichen Literatur eingehen. Aus meiner Rezension von 2009, meiner Kritik an dem, was er über Junk-DNA schreibt (Klink, 2022), und der obigen Diskussion seines zusätzlichen Kapitels geht hervor, dass Borger die Literatur regelmäßig selektiv, falsch oder irreführend darstellt. Er zieht seine eigenen Schlussfolgerungen aus den Forschungsergebnissen anderer, ohne zu erwähnen, dass die Autoren der betreffenden Veröffentlichung diese Schlussfolgerung überhaupt nicht teilen oder ihr manchmal sogar widersprechen. Er beruft sich auch auf Quellen, um seine Behauptungen zu untermauern, obwohl dies in dieser Quelle überhaupt nicht zum Ausdruck kommt. Bei Borger muss man also leider immer seine Quellen überprüfen und kann sich nicht darauf verlassen, dass er in ihnen das findet, was er glaubt. Das ist kein seriöser Umgang mit Literatur, eines Wissenschaftlers unwürdig und führt ahnungslose und leichtgläubige Leser auf eine völlig falsche Fährte.

Dass Menschen aus theologischen Gründen an den Junge-Erde-Kreationismus glauben wollen, ist ihr gutes Recht, aber tun Sie nicht so, als ließe sich das mit wissenschaftlicher Literatur aus seriösen Zeitschriften oder mit den Aussagen von Evolutionsbiologen belegen. Das ist reine Täuschung. Ich möchte daher insbesondere andere Kreationisten auffordern, Borger darauf anzusprechen. Versuchen Sie wenigstens, die Diskussion mit Anstand zu führen!

Mein Dank gilt den Evolutionsbiologen Dr. Jente Ottenburghs und Dr. Gerdien de Jong für ihre hilfreichen Kommentare zu einer früheren Version dieses Artikels.

Quellen:

Die wissenschaftlichen Streifzüge eines kreationistischen Biologen

Geschrieben von Bart Klink Geschrieben: 10. Dezember 2009
In der biologischen Welt ist die moderne Evolutionstheorie allgemein anerkannt. Sie ist die große vereinheitlichende Theorie der Biologie. Es ist daher schwer, einen Biologen zu finden, der diese Theorie leugnet, geschweige denn einen, der glaubt, dass alle Arten vor ein paar tausend Jahren in sechs Tagen von Gott geschaffen wurden. Ein kreationistischer Biologe, das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Und doch hatten wir in den Niederlanden lange Zeit einen solchen wandelnden Widerspruch: Willem Ouweneel. Nun aber, da Ouweneel seinen Kreationismus zugunsten einer weniger wörtlichen Auslegung der Genesis aufgegeben zu haben scheint, braucht das kreationistische Holland einen neuen Spitzenkandidaten. Das scheint Peter Borger sein zu wollen.

Borger studierte Biologie in Groningen, wo er auch einen Doktortitel in medizinisch-biologischer Forschung erwarb. Später konvertierte er zum Christentum und wurde ebenfalls Kreationist. Seit seiner Promotion ist er in der Asthmaforschung auf molekularer Ebene tätig und kennt sich daher gut mit der Molekularbiologie aus. Darin unterscheidet er sich von den meisten Kreationisten, die im Allgemeinen wenig über Molekularbiologie wissen. Es überrascht nicht, dass Borger seine kreationistischen Pfeile hauptsächlich auf die Evolution auf molekularer Ebene konzentriert. Seiner Meinung nach zeigen die molekularbiologischen Forschungen der letzten Jahre, dass die Evolutionstheorie unhaltbar geworden ist. Er argumentiert dies nicht nur in seinem Weblog, sondern auch in seinem kürzlich erschienenen Buch "Back to the origins, or how the new biology ends Darwin's era". Es wird von der Stiftung "The Old World" herausgegeben, die bemerkenswerterweise eine junge Welt proklamiert, in Übereinstimmung mit einer wörtlichen Lesart der Genesis. Borger hat seine Ansichten "GUToB" (generale en universele theorie over biologische verandering) getauft: allgemeine und universelle Theorie des biologischen Wandels.

Hat dieser kreationistische Biologe wirklich gezeigt, dass die Evolutionstheorie nicht mehr haltbar ist? Sollte die moderne Biologie zu "GUToB" wechseln? Borger verkündet dies fast jeden Tag, oft mehrmals, in seinem Blog. An Ansprüchen mangelt es ihm also nicht. In dieser Hinsicht hätte er von Darwins Bescheidenheit etwas lernen können. In diesem Artikel werde ich versuchen zu zeigen, dass die beiden oben genannten Fragen mit Nein zu beantworten sind. Sein Buch ist vor allem ein verzweifelter Versuch, Darwin zu denunzieren und implizit einer wörtlichen Auslegung des Schöpfungsmythos aus der Genesis ein wissenschaftliches Gütesiegel zu verleihen.

Ich werde nicht auf alle Probleme mit Borgers Geschichte eingehen können; dazu wäre wahrscheinlich ein ganzes Buch nötig. Daher werde ich die Probleme herausgreifen, die mir am wichtigsten erscheinen. Ich werde zunächst auf einige der Probleme eingehen, die sein gesamtes Buch kennzeichnen, dann auf einige seiner Kritikpunkte an der Evolutionstheorie und abschließend darauf, warum seine "GUToB" Pseudowissenschaft ist.

Da es in diesem Buch um Molekularbiologie geht, lässt sich eine gewisse molekularbiologische Fachsprache nicht vermeiden. Da eine Erklärung jedes einzelnen Begriffs diesen Artikel viel zu lang machen würde, habe ich mich dafür entschieden, diese Begriffe mit einem Hyperlink zu einer Internetseite zu versehen, auf der dieser Begriff erklärt wird.

Darwin ist tot, seine Theorie in abgewandelter Form nicht

Bemerkenswert an Borgers Buch ist, dass er sich immer auf das konzentriert, was Darwin selbst vor 150 Jahren geschrieben hat. Das geht nicht nur aus dem Untertitel hervor, sondern auch aus den vielen Passagen aus Darwins Werk, die er zitiert und dann kritisiert. Offenbar hat Borger nicht erkannt, dass die moderne Evolutionsbiologie Darwin längst überholt hat (Koonin 2009). In diesem Sinne ist Darwins Ära in der Tat zu Ende, aber das wissen auch die Evolutionsbiologen. So wusste Darwin beispielsweise nichts über die moderne Genetik und damit auch nichts über die Evolution auf molekularer Ebene, während genau das das Thema von Borgers Buch ist. Es ist daher höchst merkwürdig, dass Borger kein einziges modernes Lehrbuch zur Evolutionsbiologie zitiert (wie Barton et al. 2007; Futuyma 2009). Hätte er dies getan, hätte er gewusst, dass Evolutionsbiologen heute viel mehr wissen als Darwin und seine Ansichten oft nuanciert und modifiziert haben. Weitere Verfeinerungen und Anpassungen werden auch in Zukunft nicht ausbleiben, denn so schreitet die Wissenschaft voran. Darwins "On the Origin of Species" ist ebenso wenig repräsentativ für das heutige Wissen der Evolutionsbiologie wie Newtons "Principia"für das heutige Wissen der Physik.

Besonders deutlich wird dies auf molekularer Ebene. Borger spricht ständig von natürlicher Selektion, während gerade hier der Gendrifteine große Rolle spielt (Barton et al. 2007; Futuyma 2009). Diese zufälligen Veränderungen in der DNA, die selektiv neutral sind (weshalb sie manchmal auch als neutrale Theorie der molekularen Evolution bezeichnet werden), waren Darwin natürlich unbekannt, werden aber in modernen Lehrbüchern ausführlich behandelt. Borger erwähnt dies jedoch mit keinem Wort. Borger erwähnt mehrmals die "neutrale Selektion", die es in der Evolutionsbiologie nicht gibt und die ebenfalls ein unsinniges Konzept ist.
Schließlich ist die Selektion per Definition nicht selektiv neutral, weshalb sie von der Gendrift (die somit selektiv neutral ist) unterschieden wird. Ein solcher Mangel an Verweisen auf moderne Lehrbücher der Evolutionsbiologie ist unzulässig für jemanden, der meint, sinnvolle Kritik an der modernen Evolutionsbiologie, insbesondere der Evolution auf molekularer Ebene, zu üben.

Naturalistisches Dogma?

Borger hat eine ganze Reihe von Problemen mit dem naturalistischen Charakter der modernen Wissenschaft. Warum werden in der wissenschaftlichen Welt nur naturalistische Erklärungen akzeptiert, und gibt es ein Tabu für das Übernatürliche, scheint er sich zu fragen (S. 27-28, 230)? Gibt es vielleicht ein naturalistisches Dogma?

Das glaube ich nicht. Das große Problem mit übernatürlichen Erklärungen ist, dass sie angesichts der Natur der wissenschaftlichen Forschung problematisch sind. Das liegt daran, dass Wissenschaftler in der Lage sein müssen, Behauptungen empirisch zu überprüfen, was bei übernatürlichen Behauptungen in der Regel nicht möglich ist (die angebliche übernatürliche Wirkung von Gebeten auf die Heilung ist beispielsweise tatsächlich empirisch überprüfbar). Selbst die meisten Religionswissenschaftler aus allen möglichen Disziplinen erkennen dies an und suchen daher weiterhin nach naturalistischen Erklärungen. Nicht, weil sie ein naturalistisches Weltbild haben (das haben sie natürlich nicht), sondern weil das das einzige ist, was sie als Wissenschaftler tun können.

Diesen entscheidenden wissenschaftlich-philosophischen Punkt scheint Borger nicht zu begreifen. Ein zentrales Element in Borgers Geschichte ist beispielsweise das gemeinsame Design: Die Ähnlichkeiten zwischen Organismen sind das Ergebnis unabhängiger Schöpfungsakte eines gemeinsamen Designers, nicht gemeinsamer Abstammung. Dies lässt sich jedoch unmöglich empirisch überprüfen. Denn wie können wir wissen, was auf gemeinsames Design und was auf naturalistische Prozesse zurückzuführen ist? Borger bleibt die Antwort schuldig. Das macht seinen gemeinsamen Entwurf unwissenschaftlich.

Ein weiteres Problem mit übernatürlichen Erklärungen ist, dass die Geschichte der Wissenschaft gezeigt hat, dass sie immer wieder durch naturalistische Erklärungen ersetzt wurden. Blitzeinschläge werden nicht mehr als ein Akt Gottes angesehen, sondern als Ergebnis physikalischer Gesetze. Das Gleiche gilt für die Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten. Die naturalistische Erklärung erweist sich auch als fruchtbarer: Blitzableiter und Impfungen funktionieren besser als Gebete. Der Naturalismus ist kein Dogma in der Wissenschaft, er ist die einzige Prämisse, die nachweislich funktioniert. Borger vertritt übrigens immer noch eine Poppersche Auffassung von Wissenschaftsphilosophie (S. 22-25), die zeitgenössische Wissenschaftsphilosophen zu Recht als zu naiv und unrealistisch abgelehnt haben.

Ein elementarer logischer Irrtum

Es ist eine elementare Logik, dass, wenn sich zwei Erklärungen gegenseitig ausschließen, mindestens eine falsch ist, aber nicht automatisch die andere richtig ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn diese beiden Erklärungen den logischen Bereich der Möglichkeiten ausschöpfen würden, was aber in der (Natur-)Wissenschaft fast nie der Fall ist. Es wäre daher ein offensichtlicher Fehler in der Wissenschaft, daraus zu schließen, dass Erklärung A richtig ist, weil B falsch ist. Doch genau das tun Borger und Kreationisten im Allgemeinen oft: Wenn die Evolutionstheorie falsch ist, muss der Kreationismus wahr sein. Die Old World Foundation, die das Buch von Borger veröffentlicht hat, spricht auf ihrer Website von "zwei wissenschaftlichen Schöpfungsmodellen".
Offenbar gibt es ihrer Meinung nach keine anderen Möglichkeiten. Dies ist ein Trugschluss (falsches Dilemma) und wissenschaftlich naiv. Schließlich könnte es durchaus sein, dass, wenn die Evolutionstheorie widerlegt würde, eine andere, nicht-kreationistische Erklärung an ihre Stelle treten würde.

Kritik an der Evolutionstheorie oder deren Unzulänglichkeiten können also niemals allein den Kreationismus stützen, auch wenn Kreationisten dies oft so darstellen. Borger wird daher eine von der Evolutionstheorie unabhängige Rechtfertigung für seine eigene Geschichte finden müssen. Er wird die wissenschaftlichen Vorzüge seiner Geschichte verteidigen müssen und nicht nur die Evolutionstheorie angreifen. Das versucht er auch im zweiten Teil seines Buches, aber er scheitert dabei kläglich. Ich werde später darauf zurückkommen. Zunächst wollen wir sehen, ob Borgers Kritik an der Evolutionstheorie wirklich stichhaltig ist.

Ist die gemeinsame Abstammung mit Modifikation widerlegbar?

Im Mittelpunkt von Darwins Evolutionstheorie steht die gemeinsame Abstammung mit Modifikationen: Organismen stammen von gemeinsamen Vorfahren ab, unterscheiden sich aber immer geringfügig von ihnen (die Modifikation), wodurch sie auch einzigartige Merkmale erhalten. So entstehen Gruppen in Gruppen in Gruppen, eine verschachtelte Hierarchie. Bei der Betrachtung des gesamten Lebens wird häufig die Metapher des Lebensbaums (Tree of Life, ToL) verwendet. Im allgemeinen Sinne wird ein solcher Baum, der die Verwandtschaftsbeziehungen beschreibt, als phylogenetischer Baumbezeichnet. Das Konzept des ToL hat in der modernen Evolutionsbiologie noch immer Bestand, wenn auch in etwas abgewandelter Form.
Mikroorganismen beispielsweise scheinen Informationen nicht nur von den Eltern auf die Nachkommen (vertikaler Gentransfer), sondern auch untereinander auszutauschen (horizontaler Gentransfer, HGT). Dies macht die Erstellung eines Stammbaums für Mikroorganismen schwieriger als beispielsweise für Tiere, bei denen es praktisch keinen HGT gibt. Aufgrund des HGT bei Mikroorganismen ist die "Wurzel" des Stammbaums ebenfalls schwer zu bestimmen; dort hat es wahrscheinlich eher ein Netzwerk als einen Stamm mit Ästen gegeben. All dies kann man in modernen Lehrbüchern der Evolutionsbiologie nachlesen.

Borger ist der Ansicht, dass die gemeinsame Abstammung mit Modifikationen unwiderlegbar ist, weil alle Ähnlichkeiten auf die gemeinsame Abstammung und alle einzigartigen Merkmale auf Modifikationen zurückgeführt werden (S. 26). Macht dies nicht die gesamte Idee der gemeinsamen Abstammung mit Modifikation unwiderlegbar? Nein, denn es ist nur ein bestimmtes Muster (verschachtelte Hierarchie) zu erwarten und nicht irgendein zufälliges Muster. In der Tierwelt zum Beispiel treffen einmal getrennte Evolutionslinien nicht wieder zusammen. Daher können imaginäre Kreaturen wie eine Sphinx (Mensch und Löwe) oder ein Zentaur (Mensch und Pferd) nicht existieren. Ebenso wenig kann es ein Pferd mit Flügeln oder einen Vogel mit einer Plazenta geben. Das liegt daran, dass bei gemeinsamer Abstammung Veränderungen nur in begrenztem Umfang möglich sind. Daher kann ein Pferd niemals einfach Flügel auf dem Rücken haben. Das wäre eine Widerlegung der gemeinsamen Abstammung mit Modifikationen.

Wie steht es nun mit der konvergenten Evolution, die zur Homoplasie führt? Betrachten wir zum Beispiel die hydrodynamischen Körperformen von Walen und Fischen. Wale sind keine Fische, aber sie haben eine fischähnliche Form. Das ist keine Widerlegung, denn fast alle anderen Merkmale ordnen die Wale der Gruppe der Säugetiere zu, nicht den Fischen. Die oberflächliche Ähnlichkeit in der Körperform ist auf die gleichen Anpassungen an die Umwelt zurückzuführen, und diese können unabhängig von der gemeinsamen Abstammung auftreten. Homoplasie durch konvergente Evolution tritt auch auf molekularer Ebene auf, zusätzlich zu Ähnlichkeiten, die zufällig entstanden sind, weil dieselbe Mutation unabhängig voneinander an derselben Stelle auftrat. Dies ist jedem Evolutionsbiologen gut bekannt, und es gibt fast immer gute Techniken, um dieses Rauschen im phylogenetischen Signal zu umgehen. Auch dies kann in jedem Lehrbuch der Evolutionsbiologie nachgelesen werden (siehe z. B. hier).

Eine gemeinsame Abstammung würde auch dann widerlegt, wenn Nachkommen vor ihren mutmaßlichen Vorfahren in den Fossilien auftauchen. So dürfen keine Fossilien von Menschen vor denen der ersten Primaten gefunden werden, und keine Primaten vor den ersten Säugetieren. Völlig problematisch wäre ein Kaninchen in einer präkambrischen Schicht, wie der bedeutende Evolutionsbiologe J.B.S. Haldane einmal als möglichen Gegenbeweis vorschlug. Fossilien dieser Art an "falschen" Orten werden also nicht gefunden, während sie leicht hätten gefunden werden können, wenn alle Organismen zur gleichen Zeit entstanden wären, wie Borger und andere Kreationisten glauben. Der Fossiliennachweis hätte die gemeinsame Abstammung leicht widerlegen können, aber er ist stattdessen eine wunderbare Bestätigung dafür, wie der Paläontologe Donald Prothero in seinem ausgezeichneten Buch (Prothero 2007) zeigt. Außerdem hätte sie Borgers Geschichte leicht bestätigen können, aber stattdessen ist sie eine Widerlegung derselben.

Borger führt auch das Schnabeltier als ein Problem für die gemeinsame Abstammung an (S. 26-27). Ist der "Entenschnabel" dieses Säugetiers nicht ein Gegenargument? Sicherlich sollten Säugetiere keine Schnäbel haben, meint Borger. In der Tat, und das tun sie auch nicht. Als Biologe weiß er das vermutlich am besten, aber anscheinend kann er nicht widerstehen, dem leichtgläubigen Leser zu suggerieren, dass sie einen haben. Die Form des Schnabels des Schnabeltiers sieht in der Tat ein wenig wie die eines Vogels aus, aber er ist sowohl von der Konstruktion als auch vom Gewebe her völlig anders. Auch der Rest seines Körpers unterscheidet sich völlig von dem der Vögel. Ein Schnabeltier hat keinen Schnabel, hat nichts mit Vögeln zu tun und ist daher keine Widerlegung.

Die Zufälligkeit von Mutationen

In der Evolutionsbiologie bezeichnet man Mutationen als zufällig oder willkürlich. Damit ist gemeint, dass sie ungerichtet sind: Eine bestimmte Mutation entsteht nicht, weil sie einen bestimmten Selektionsvorteil bringt. Jeder Evolutionsbiologe weiß das und es steht auch in jedem Lehrbuch. Borger jedoch versteht es nicht, obwohl er immer wieder darauf hingewiesen wurde. Er glaubt, dass Evolutionsbiologen meinen, Mutationen seien "völlig unvorhersehbar" und unbeeinflusst von Umweltfaktoren (S. 248-249). Selbst ein über 20 Jahre altes Lehrbuch stellt ausdrücklich fest, dass dies nicht das ist, was in der Evolutionsbiologie mit "zufällig" gemeint ist (Futuyma 1986)!

Da Mutationen nicht zufällig in dem Sinne sind, dass jede Stelle im Genom gleich oft mutiert und jede Art von Mutation gleich wahrscheinlich ist (wie jeder Evolutionsbiologe weiß), glaubt Borger, dass wir es hier mit etwas zu tun haben, das er "nicht zufällige Mutationen" nennt. Dies ist irreführend, weil es von einer anderen Definition von Zufall ausgeht, als sie in der (Evolutions-)Biologie üblich ist. Außerdem gibt es bereits einen guten Begriff für das von Borger beschriebene Phänomen: Mutation(al)bias (Yampolsky 2005). Natürlich steht es Borger frei, Wörter zu definieren, wie er will - er kann auch Protonen als negativ geladene Teilchen und Elektronen als positiv bezeichnen -, aber es ist redundant und irreführend.

Nicht kodierende, ultrakonservierte genetische Elemente

Borger weist darauf hin, dass es in den Genomen von Menschen und Mäusen identische Sequenzen gibt, die nicht für Proteine kodieren. Man kann sie sogar löschen, ohne dass dies einen offensichtlichen Effekt hat (S. 154-155) (Ahituv et al. 2007). Biologen sprechen dann von der Deletion nicht kodierender, ultrakonservierter genetischer Elemente ohne Phänotyp. Dies sind Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren und werfen interessante Fragen auf. Normalerweise bedeutet dies in der Wissenschaft einen guten Ansatzpunkt für neue Forschung. Für Borger bedeutet es jedoch, dass eine sehr gut bestätigte Theorie komplett verworfen werden kann.

Glücklicherweise gehen andere Wissenschaftler nicht so kurzsichtig vor: Sie forschen weiter, wie es sich für Wissenschaftler gehört. Dabei zeigt sich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die fraglichen Sequenzen zwar einen phänotypischen Effekt haben, dass sich dieser Effekt aber nicht in kurzer Zeit unter Laborbedingungen manifestiert (Barbaric et al. 2007; McLean und Bejerano 2008). Dies haben übrigens auch die Entdecker als mögliche Erklärung angegeben (Ahituv et al. 2007). Der Grund dafür ist, dass diese Laborbedingungen optimal sind und damit weit entfernt vom normalen Leben in der freien Natur, wo die natürliche Auslese voll zum Tragen kommt. So wurde beispielsweise die Temperatur konstant gehalten, so dass ein Phänotyp, der aus den normalen Temperaturschwankungen resultiert, die Mäuse in freier Wildbahn erleben, niemals entdeckt werden würde. Borger zieht also eine große Schlussfolgerung aus sehr begrenzten Daten. Ein guter Wissenschaftler wäre da viel vorsichtiger.

Duplikation und Redundanz

Da Evolutionsbiologen sich nicht auf einen Schöpfer berufen, der auf wundersame Weise vollständige Genome aus dem Nichts hervorzaubert, müssen sie einen Mechanismus haben, durch den der Informationsgehalt der Genome seit ihrer Entstehung vor etwa 3,5 Milliarden Jahren erweitert werden kann. Gene können also niemals ex nihilo entstehen, sondern müssen immer durch Veränderungen des bereits existierenden Genoms gebildet werden. Der Genetiker Susumu Ohno schlug 1970 in seinem Buch Evolution by gene duplication vor, dass die Genduplikationdabei eine wichtige Rolle spielt. Wenn ein Gen dupliziert wird, ist das Duplikat in vielen (aber nicht allen) Fällen redundant und kann daher ungestraft mutieren. Das Duplikat wird dann als redundant bezeichnet.

Wenn Ohno recht hat, sollten moderne Genomanalyseverfahren zeigen, dass es sehr viele Duplikate in den Genomen gibt. Dies ist tatsächlich der Fall, oft in Form von Genfamilien (Zhang 2003; Britten 2006; Demuth und Hahn 2009). Eine solche Genfamilie enthält mehrere Gene, die dupliziert wurden und dann aufgrund von Mutationsanhäufungen voneinander abgewichen (divergiert) sind. Nach langer Zeit kann das Duplikat so stark divergiert sein, dass es kaum oder gar nicht mehr als Duplikat zu erkennen ist. Duplikate können in verschiedenen Größenordnungen auftreten: von kleinen DNA-Stücken bis hin zu kompletten Genomen (Li 2007).

Eine solche Genomverdopplung führt zu einer großen Menge neuer genetischer Information auf einmal und eröffnet daher viele evolutionäre Möglichkeiten. Bei den Wirbeltieren hat sie vermutlich zweimal stattgefunden, seit es Wirbeltiere mit Kiefer gibt. Deshalb spricht man von der 2R-Hypothese, nach den zwei Runden der Verdoppelung. Borger erörtert dies kurz (S. 88-90) und verweist auf zwei Artikel, die diese Hypothese kritisieren (Martin 2001; Hughes und Friedman 2003). Da in den letzten Jahren immer mehr Genome sequenziert wurden und die Methoden zum Vergleich von Genomen verbessert wurden, hat sich die 2R- Hypothese immer mehr bestätigt (Cotton und Page 2005; Dehal und Boore 2005; Putnam et al. 2008). Borger berichtet jedoch nichts darüber, obwohl gerade diese jüngsten Forschungen die 2R-Hypothese plausibler denn je gemacht haben (Kasahara 2007). Frühere negative Forschungen zu zitieren und spätere positive Forschungen auszulassen, ist nicht sehr ordentlich. Außerdem hängt die Evolutionstheorie nicht von der Richtigkeit der 2R- Hypothese ab, denn sie ist nicht die einzige Möglichkeit, neue genetische Informationen zu erhalten. Sie ist eine Hypothese innerhalb der modernen Evolutionsforschung, die sich als plausibel erwiesen hat.

Borger ist sich des evolutionären Potenzials von Duplikationen bewusst, versucht es aber zu untergraben, indem er auf drei angebliche Probleme hinweist. Erstens stellt er fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Eiweiß-kodierenden Gene und der Komplexität des Organismus gibt (S. 148). Dies ist in den letzten Jahren durch zahlreiche Genomanalysen deutlich geworden. Solche Analysen haben aber auch deutlich gemacht, dass gerade die DNA-Stücke, die nicht für Proteine kodieren, einen großen Teil des Phänotyps bestimmen. Es geht also nicht nur um die proteinkodierenden Gene. Jeder moderne Evolutionsbiologe weiß das. Das ändert übrigens nichts an der Rolle der Duplikation, denn auch nicht-proteinkodierende DNA wird dupliziert. Das erste Problem von Borger ist also überhaupt kein Problem für die Rolle der Duplikation in der Evolution. Es stimmt auch nicht, dass duplizierte DNA-Sequenzen in Bakterien fast nicht vorkommen, wie Borger behauptet (S. 148-149); auch bakterielle Genome sind voll davon (Serres et al. 2009).

Das zweite Problem ist laut Borger, dass Redundanz nicht mit Genduplikation verbunden ist. Er schreibt zum Beispiel, dass ein Organismus (wie die Bäckerhefe) mit einer großen Anzahl redundanter Gene relativ wenige Genduplikate aufweist. Allerdings scheint er zwei verwandte Begriffe zu verwechseln: Redundanz und Robustheit (S. 150). Robustheit ist eine Eigenschaft einesSystems, nämlich seine Fähigkeit, Störungen (Disruptionen, z. B. schädliche Mutationen im Genom) zu widerstehen. Redundanz hingegen ist ein Mechanismus, um Robustheit zu erreichen: "Ersatzgene" (die Duplikate) können wesentliche Gene übernehmen, wenn diese gestört sind.

Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit, Robustheit zu erreichen, und zwar durch die Interaktion von Genen mit nicht verwandter Funktion, was auch Borger anerkennt. Vergleichen Sie es mit dem Herausdrehen einer Schraube. Im Prinzip benutzt man dazu einen Schraubenzieher, aber als Alternative kann man oft auch ein Messer oder sogar eine Münze verwenden. Beide haben zwar völlig unterschiedliche Funktionen, sind aber als Schraubenzieher nützlich. Dies ist also der andere Mechanismus, um Robustheit zu erreichen.

Der von Borger zitierte Forscher (Wagner 2000) erklärt auch deutlich den Unterschied zwischen Robustheit und Redundanz. Redundante Gene, die durch Duplikation entstehen, führen demnach zu Robustheit, aber nicht alle Robustheit resultiert aus duplizierten redundanten Genen. Daher gibt es auch keinen direkten Zusammenhang zwischen Robustheit und Duplikation, da es neben redundanten Duplikaten noch einen anderen Mechanismus gibt, um Robustheit zu erreichen. Beide Mechanismen scheinen bei der Schaffung von Robustheit eine Rolle zu spielen, auch wenn es eine Debatte darüber gibt, in welchem Umfang (Gu et al. 2003; Conant und Wagner 2004; Hsiao und Vitkup 2008). Daher ist dies kein Thema für die Evolution und die Rolle der Duplikation in ihr.

Das dritte Problem, das Borger anspricht, ist, dass Duplikate nicht schneller mutieren würden als essentielle Gene (S. 150). Natürlich mutieren sie nicht schneller, aber sie werden in vielen Fällen Mutationen akkumulieren (und sich somit schneller entwickeln). Das meint Borger wahrscheinlich auch. Dass dies nicht in allen Fällen zutrifft, ist auch nicht schwer zu verstehen: Schließlich kann es nützlich sein, ein Duplikat zu haben, wenn mehr Proteine produziert werden müssen oder um ein wichtiges Gen zu unterstützen. In diesem Fall ist das Duplikat nicht redundant, sondern wird durch Selektion erhalten. In vielen Fällen sind Duplikate jedoch überflüssig und können daher Mutationen anhäufen. Dies kann zur Entstehung einer neuen Funktion (Neofunktionalisierung), einer Teilfunktion (Subfunktionalisierung) oder eines defekten Gens (Nichtfunktionalisierung oder Degeneration) führen. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Michael Lynch, der bereits im Jahr 2000 eine Studie über das evolutionäre Schicksal von Genduplikaten veröffentlichte (Lynch und Conery 2000). Diese Forschung hat sich als so wichtig erwiesen, dass sie seither mehr als 1.200 Mal in der Literatur zitiert wurde, aber Borger erwähnt sie mit keinem Wort. Sie zeigt, dass Borger falsch liegt: Die meisten Duplikate entwickeln sich nach der Duplikation rasch weiter. Dies wurde auch durch spätere Forschungen bestätigt (Conant und Wagner 2003; Zhang et al. 2003; Brunet et al. 2006).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Duplikation ein sehr wichtiger evolutionärer Mechanismus zur Erweiterung von Genomen ist. Genduplikate tragen zur Robustheit genetischer Systeme bei, da sie oft redundant sind. Allerdings ist die Redundanz von Duplikaten nicht der einzige Mechanismus, der für Robustheit sorgt, so dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen redundanten Duplikaten und Robustheit gibt.
Duplikate machen in der Regel nach der Duplikation eine beschleunigte Evolution durch, nach der sie entweder "zusammenbrechen" oder eine neue (Teil-)Funktion erhalten. Borger scheint Redundanz und Robustheit zu verwechseln, und seine Argumente gegen die Rolle der Genduplikation in der Evolution sind nicht stichhaltig.

Das Paradoxon der RNA-Viren

Ein weiteres Problem für die Evolution, so Borger, ist das Alter der RNA-Viren. Dazu zitiert er eine Veröffentlichung von Edward Holmes (Holmes 2003) und argumentiert, dass RNA-Viren erst vor 50.000 Jahren entstanden sind. Dies wäre problematisch, da die Wirte natürlich um ein Vielfaches älter sind. Ist dies tatsächlich das, was Holmes' Forschung zeigt? Nein, denn Holmes untersuchte nur zeitgenössische RNA-Viren, und diese scheinen einen gemeinsamen Vorfahren zu haben, der vor etwa 50.000 Jahren lebte. Eine gute Erklärung dafür, die Holmes selbst vorschlägt, ist, dass die Virusfamilien, zu denen die heutigen Viren gehören, viel älter sind, die älteren Verwandten aber schon lange ausgestorben sind. Der gemeinsame Vorfahre der heutigen Viren ist also nicht der gemeinsame Vorfahre aller Viren. Dies ist ähnlich wie bei der mitochondrialen Eva. Sie ist, was die mitochondriale DNA betrifft, die Mutter aller heutigen Frauen, war aber sicher nicht die erste Frau (siehe hier für weitere Erklärungen).

Eine weitere gute Erklärung von Holmes ist, dass molekulare Uhren, die zur Datierung verwendet werden, nicht gut für Viren geeignet sind. Denn diese Uhren gehen von einer mehr oder weniger konstanten "Tickgeschwindigkeit" aus, und es gibt gute Gründe für die Annahme, dass dies bei Viren nicht der Fall ist.
Außerdem müssen solche Uhren anhand von Fossilien geeicht werden, und von Viren gibt es keine. Es gibt noch eine weitere, eher technische Erklärung in dem Artikel. Borger geht auf keine dieser plausiblen Erklärungen für das RNA-Virus-Rätsel ein, sondern deutet einfach an, dass dies ein Problem ist. Für einen Wissenschaftler ist dies ein besonders fragwürdiger Ansatz.

Der genetische Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen

Fragen Sie eine Person auf der Straße, wie stark sich Menschen und Schimpansen genetisch voneinander unterscheiden, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Sie "etwa 1 %" als Antwort erhalten. Dieser Prozentsatz beruht auf den ersten Vergleichsstudien und wurde seinerzeit in den Medien weit verbreitet. In der heutigen Ära der Genomforschung wissen wir jedoch, dass es ein wenig differenzierter ist. Denn dieser Prozentsatz von 1 % gilt nur, wenn man die DNA-Stücke vergleicht, die sowohl Menschen als auch Schimpansen besitzen. Bezieht man die Teile mit ein, die der eine hat, der andere aber nicht (die Insertionen und Deletionen, Indels), beträgt der Gesamtunterschied etwa 4 % (Mikkelsen et al. 2005). Betrachtet man jedoch nur das Vorhandensein von Genen zwischen den Arten, so zeigt sich, dass beide Arten über die erforderlichen einzigartigen Gene verfügen, was einem Unterschied von 6,4 % entspricht (Demuth et al. 2006). Dieselbe Studie zeigt übrigens auch, dass der Unterschied zwischen Maus und Ratte wesentlich größer ist. Wie sehr wir uns genetisch von Schimpansen unterscheiden, hängt also davon ab, was man genau betrachtet: die gesamten Genome unterscheiden sich um 4 %, das Vorhandensein von Genen um 6,4 % und die Teile, die wir beide haben, um 1 %.

Borger ist jedoch anderer Meinung und widmet ihr ein ganzes Kapitel (Kapitel 10). Er spricht sogar von "der großen Affengeschichte", um seine Abneigung auszudrücken. In der Tat beträgt der Unterschied laut Borger 8,5 % (S. 142), und in seinen Präsentationen und in seinem Weblog spricht er von noch größeren Unterschieden. Diese 8,5 % stützt er auf die Gesamtgröße der analysierten Genome. Wie lässt sich das mit den oben genannten 4 % vereinbaren? Haben all diese Forscher bei ihren Genomanalysen etwas übersehen, was Borger sieht? Nein, denn man kann den Vergleich zwischen den Genomgrößen, den Borger anstellt, gar nicht anstellen. Das liegt daran, dass die Größen, die Borger für seine Berechnungen verwendet, nicht die des gesamten Genoms sind, sondern die des Teils, der sequenziert wurde. Dies wird in den Artikeln auch klar und deutlich gesagt, aber Borger hat das offenbar übersehen. Bestimmte Teile des Genoms sind nur sehr schwer oder gar nicht zu sequenzieren und wurden daher nicht in die Analysen einbezogen. Folglich kann Borger den Vergleich, den er anstellt, gar nicht anstellen, und seine 8,5 % sind gelinde gesagt feuchtfröhlich. Die beste Schätzung für den Unterschied zwischen den insgesamt sequenzierten Genomen liegt daher bei etwa 4 %.

Wichtiger ist jedoch, dass es für die Verwandtschaft nicht so sehr auf die absoluten Unterschiede ankommt, sondern auf die relativen Unterschiede. Wenn die Evolutionstheorie wahr ist, sollte man erwarten, dass die verschachtelte Hierarchie auch in den Genomen zu finden ist. Schließlich ist dies das Ergebnis einer gemeinsamen Abstammung mit Modifikationen. In der Tat ist es das, was wir finden: Genomisch unterscheiden sich Menschen mehr von Makaken als von Schimpansen und mehr von Mäusen als von Makaken.

Das GULO-Gen

Das GULO-Gen ist ein Pseudogen, das wir mit den anderen großen Menschenaffen teilen. Da dieses Gen beim Menschen defekt ist, können wir Ascorbinsäure nicht selbst herstellen. Wir müssen sie daher mit der Nahrung aufnehmen: Sie ist für uns zu einem Vitamin (Vitamin C) geworden. Da dieses Pseudogen viele Mutationen enthält, die wir mit den anderen Menschenaffen teilen, ist es ein wunderbarer Beweis für die gemeinsame Abstammung, wie ich hier und hier gezeigt habe. Es überrascht nicht, dass Borger versucht, diese Beweise zu widerlegen, sowohl im Internet als auch in seinem Buch (S. 256-257).

Er versucht dies, indem er behauptet, dass die Mutationen, die wir mit den anderen Menschenaffen teilen, nicht das Ergebnis gemeinsamer Abstammung sind, sondern "nicht-zufällig" sind (sensu Borger). Zum Beispiel ist die gemeinsame Deletion an Position 97 bei den Menschenaffen (einschließlich des Menschen) unabhängig entstanden, weil es sich um eine hoch variable Position handelt. Wenn diese Position bereits so hochvariabel ist, wie Borger behauptet (und das ist an dieser Stelle nicht ganz klar), beantwortet dies nicht die Frage, warum alle Menschenaffen genau dieselbe Mutation (d. h. eine Deletion) aufweisen. Noch problematischer an Borgers Erklärung ist jedoch, dass es neben der Position 97 noch 12 weitere gemeinsame Mutationen in diesem Gen unter den Menschenaffen gibt, und Menschen und Schimpansen teilen sich darüber hinaus noch weitere 3 Mutationen. Zumindest sind diese Positionen, im Gegensatz zu Position 97, nicht sehr variabel. Borgers alternative Erklärung mit "nicht-zufälligen Mutationen" trifft hier also nicht zu. Das GULO-Gen bleibt also ein starker Beweis für die gemeinsame Abstammung.

Der beste genetische Code?

Fast alle Organismen verwenden denselben genetischen Code für ihr Erbgut. Dies ist ein wunderbarer Beweis für die gemeinsame Abstammung, aber für Borger ist es eigentlich ein Beweis für Intelligent Design. Seiner Ansicht nach ist dies nämlich der bestmögliche genetische Code. Selbst wenn Wissenschaftler absichtlich versuchen würden, einen besseren Code zu entwerfen, kämen sie immer noch zu dem aktuellen Code (S. 227). Dazu zitiert er eine Arbeit, die vor fast einem Jahrzehnt veröffentlicht wurde (Freeland et al. 2000). Ist das nicht ein eklatanter Beweis für Intelligent Design, fragt sich Borger?

Hätte Borger den Artikel, auf den er sich bezieht, etwas aufmerksamer gelesen, wüsste er, dass die Dinge etwas nuancierter sind. Denn die Forscher haben eine begrenzte Anzahl von Codes untersucht, nämlich nur solche, die biosynthetisch möglich sind. Ohne solche Einschränkungen ist der aktuelle Code überhaupt nicht optimal. Dies wurde auch durch neuere Forschungen bestätigt (Novozhilov et al. 2007). Natürlich ist ein allmächtiger Designer nicht an solche Beschränkungen gebunden und hätte daher leicht einen besseren Code entwerfen können. Darüber hinaus zeigen Novozhilov et al., dass der aktuelle Code evolutionär leicht von jedem Code desselben Typs zu erreichen ist. Aus der Perspektive eines allmächtigen Designers ist der aktuelle Code also gar nicht der beste. Borger zieht also eine ungerechtfertigte Schlussfolgerung.

Archaeopteryx und Übergangsformen

Obwohl sich Borger in seinem Buch hauptsächlich mit der Molekularbiologie beschäftigt, geht er auch kurz auf Fossilien ein. Er fragt sich, warum nicht mehr Übergangsformen aus der Evolution der Vögel gefunden wurden als der Archaeopteryx, ein Fossil, das schon zu Darwins Zeiten gefunden wurde (S. 164). Dies zeigt, dass Borger die einschlägige Literatur völlig ignoriert, denn gerade in den letzten Jahren sind viele solcher Fossilien beschrieben worden, die oft auch sehr schön erhalten sind (Zhou 2004). Fast alle diese Fossilien wurden in großen Wissenschaftszeitschriften wie Nature und Science beschrieben, so dass Borger dies hätte wissen können. Selbst in jüngster Zeit wurden zwei prächtige Exemplare beschrieben (Zhang et al. 2008; Hu et al. 2009). Nicht nur die Evolution der Vögel ist durch Fossilien gut dokumentiert, auch aus der Evolution anderer Tiere sind viele Übergangsformen bekannt. Eine aktuelle Darstellung dieser Formen findet sich in dem hervorragenden Buch des Paläontologen Donald Prothero (Prothero 2007). Übergangsformen existieren in Borgers Kopf einfach nicht, weil er die Literatur einfach nicht kennt.

Kambrische Explosion "über Nacht"?

Laut Borger waren alle von Gott geschaffenen "Urarten" von Anfang an da, wie es im Buch Genesis der Bibel heißt. Nach Ansicht der Evolutionsbiologen begann das Leben jedoch sehr einfach und diversifizierte sich von da an über einen Zeitraum von etwa 3,5 Milliarden Jahren. Dies führt zu zwei unterschiedlichen Vorhersagen über den Fossilienbestand. Folgt man Borger, so müssten wir bereits in den ältesten Schichten Vertreter aller Urarten finden. Folgt man hingegen den Evolutionsbiologen, so sollten wir in den ältesten Schichten nur einzelliges Leben finden und mit zunehmender Verjüngung der Schichten immer komplexere Formen. Dies ist auch der Fall (Prothero 2007), obwohl es eine Periode gab, in der in relativ kurzer Zeit eine große Vielfalt an Bauplänen (Morphologie) entstanden ist oder entstanden zu sein scheint.

Paläontologen nennen diesen Zeitraum die "kambrische Explosion". Bemerkenswerterweise scheint Borger dies als Beweis für seine Geschichte zu sehen: eine so große Veränderung in einer so kurzen Zeit, sieht das nicht sehr nach einer Schöpfung aus dem Nichts aus? Er glaubt sogar, dass diese Explosion "fast über Nacht" stattgefunden hat (S. 230). Was Borger offenbar nicht verstanden hat, ist, dass diese "Explosion" in einer relativ kurzen Zeit stattfand: Sie umfasst noch viele Millionen Jahre. In geologischen Maßstäben ist das kurz, aber es gibt genügend Zeit für die Evolution. Darüber hinaus glaubt Borger, dass diese Baupläne "völlig neu" (S. 230) waren, während ältere Vorläufer vieler Baupläne bereits bekannt sind (Gishlick 2003; Prothero 2007). Auch zeigen molekulare Beweise in Verbindung mit dem jetzt bekannten fossilen Material, dass die "Explosion" weniger explosiv war, als Kreationisten es gerne hätten (Peterson et al. 2008). Borger ist einfach wieder einmal unwissend, was die einschlägige Literatur betrifft.

Dass er die kambrische "Explosion" als Problem für die Evolution ansieht (S. 26), liegt daran, dass er offenbar denkt, dass die Evolution immer gleich schnell verläuft. Das ist ein gigantischer Trugschluss. Es gibt sowohl gute theoretische als auch empirische Gründe dafür, dass die Evolutionsgeschwindigkeit nicht immer gleich hoch ist (Futuyma 2009). Dies wird in jedem Lehrbuch der Evolutionsbiologie erklärt, aber auch das ist Borger offenbar nicht bewusst. Schließlich bietet die kambrische Explosion wenig Unterstützung für seine Geschichte, da viele der wichtigsten heutigen Tiergruppen damals noch nicht existierten. So finden wir beispielsweise nirgendwo in den kambrischen Schichten Fossilien von Vögeln oder Säugetieren und schon gar nicht von Menschen, obwohl diese laut Borger dort hätten vorkommen müssen. Würden sie gefunden, so wäre dies für die Evolutionsbiologie äußerst problematisch.

Die kambrische "Explosion" ist ein interessantes Forschungsthema, mit dem sich die entsprechenden Wissenschaftler weltweit befassen. Es wird immer noch darüber diskutiert, inwieweit diese morphologische Explosion real ist oder auf die Unvollständigkeit der Fossilienaufzeichnungen zurückzuführen ist (schließlich versteinern nicht alle Organismen gleich gut). Für die Evolutionsbiologie stellt sie jedoch kein Problem dar und stützt ganz sicher nicht die Geschichte von Borger. Schauen wir uns also an, wie stark seine "GUToB" wissenschaftlich ist.

Variation-induzierende genetische Elemente

"Variation-induzierendes genetisches Element" ("VIGE") ist ein von Borger geprägter Begriff für alle genetischen Elemente, die Variation in Genomen verursachen können. Er zählt dazu genetische Elemente wie SINEs, LINEs, IS-Elementeund endogene Retroviren, Elemente, die in der gängigen Literatur auch als nicht-kodierende DNA oder "Junk-DNA" (ein verwirrender Begriff) bezeichnet werden. Nach Borger besteht die "Junk-DNA" hauptsächlich aus seinen "VIGEs" (S. 159). Die ursprünglichen Genome, die Gott am Anfang schuf, waren mit diesen "VIGEs" beladen, damit sich das Leben schnell anpassen und auf der Erde ausbreiten konnte. Dies ist also laut Borger der Zweck dieser Elemente. VIGEs würden es dem Genom sogar ermöglichen, eine sich verändernde Umwelt zu antizipieren (S. 172).

Niemand wird bestreiten, dass einige der genetischen Elemente, die Borger zu seinen VIGEs zählt, phänotypische Auswirkungen haben. Dafür gibt es in der Literatur zahlreiche Beispiele. Dies ist auch Evolutionsbiologen gut bekannt und passt perfekt in die moderne Evolutionstheorie (Oliver und Greene 2009). Die Frage ist jedoch, wie wir wissenschaftlich überprüfen können, dass der Zweck dieser Elemente darin besteht, genetische Informationen zu induzieren, und nicht, dass sie diesen Effekt haben können. Borger gibt hierauf keine Antwort. Wahrscheinlich wird es sie auch nie geben, denn dieser Zweck ist unwahrscheinlich. Er erklärt zum Beispiel nicht, warum die Zwiebel (Allium cepa) etwa dreimal so viele dieser Elemente aufweist wie der Leser dieses Artikels. Selbst Zwiebelarten derselben Gattung (Allium) variieren in ihrer Genomgröße zwischen 7 und 31,5 Pikogramm. Eine so große genomische Variation zwischen sehr eng verwandten Arten ist unwahrscheinlich, wenn all diese DNA einen bestimmten Zweck hat, wie z. B. die Erzeugung von Variation. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für ein vorausschauendes Genom.

Dass einige der genetischen Elemente, die Borger zu seinen "VIGEs" zählt, phänotypische Auswirkungen haben, ist für Evolutionsbiologen also kein Problem. Dass sie einen variationsinduzierenden Zweck haben, ist dagegen bisher nicht nachweisbar und auch unwahrscheinlich. "VIGEs" in der Rolle, die Borger ihnen zuweist, haben daher auch keinen Mehrwert für die Biologie.

Der Kreis der "Baranome" und "Indikatorgene"

Mittelpunkt von Borgers "GUToB" stehen die "Baranome": die Genome, wie sie ursprünglich von Gott geschaffen wurden, mit genetischen Elementen, die Variationen hervorrufen können (die "VIGEs"). Der von ihm geprägte Begriff leitet sich von dem hebräischen Verb bara ab, das "erschaffen" (oder "trennen") und "Genom" bedeutet. Die große Frage ist natürlich: Woran erkennt man ein „Baranom“? Was unterscheidet ein "Baranom" von einem anderen? Borger antwortet, dass wir dies mit Hilfe von "Indikatorgenen" tun können: "essentielle Gene mit einer sehr spezifischen Eigenschaft, die das Baranom definieren" (S. 234, wiederum ein von ihm geprägter Begriff). Es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Definition zirkulär ist: Man kann ein "Baranom" an einem "Indikatorgen" erkennen, und ein "Indikatorgen" daran, dass es spezifisch für ein "Baranom" ist.

Laut Borger sind beispielsweise Indikatorgene einzigartig für den Menschen, aber auch das bringt uns nicht weiter, wenn wir "Baranome" abgrenzen wollen. In einem phylogenetischen Baum sind nämlich für jede Gruppe einzigartige Merkmale zu erkennen, selbst wenn ich sie für meine engsten Blutsverwandten aufstellen würde. Ich trage Gene in mir, die für mich als Person, für meine Familie, für meine Spezies (Homo sapiens), für meine Ordnung (Primaten), für meine Klasse (Säugetiere) und so weiter einzigartig sind. Dies ist genau das, was man aufgrund der verschachtelten Hierarchie, die sich aus der gemeinsamen Abstammung mit Modifikationen ergibt, erwarten könnte. Es ist jedoch völlig willkürlich, was als "Indikatorgen" verwendet wird, um ein "Baranom" abzugrenzen.

Als Beispiel für ein "Indikatorgen" führt Borger das FOXP2-Genan, ein Gen, das mit Sprache in Verbindung gebracht wird. Die menschliche Sequenz dieses Gens ist einzigartig für seine Spezies. Wir finden dieses Gen jedoch auch bei anderen Säugetieren; auf der Ebene der Aminosäuren unterscheidet sich unsere Variante dieses Gens nur um zwei Aminosäuren von der des Schimpansen und um drei von der der Maus. Warum zieht Borger hier die Grenze bei einem Unterschied von nur zwei Aminosäuren? Warum nicht bei drei, so dass alle Menschenaffen zum gleichen "Baranoom" gezählt werden müssten, mit Ausnahme (unter anderem) der Maus? Der einzige Grund ist ein religiöser: Nach seiner biblischen Auffassung wurde der Mensch getrennt von den anderen Menschenaffen geschaffen, also muss die Grenze dort liegen. Es gibt keinen biologischen Grund für die Annahme, dass es feste Grenzen zwischen Organismengruppen gibt, die evolutionär unüberbrückbar sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Indikatorgene" und "Baranome" keine biologische Realität haben. Sie sind zirkulär definiert und nicht objektiv bestimmbar.

Die Prüfung von "GUToB"

Eine gute wissenschaftliche Hypothese oder Theorie muss geprüft werden können: Wissenschaftler müssen feststellen können, ob sie wahr ist oder nicht. Borger wird dies also tun müssen, wenn seine Idee von den Wissenschaftlern ernst genommen werden soll. Er versucht dies am Ende seines Buches (S. 273): "GUToB wird abgelehnt, nachdem die naturalistische Entstehung neuer, einzigartiger funktioneller genetischer Informationen beobachtet wurde. Genetische Informationen, die nicht mit bereits existierenden genetischen Elementen verbunden sind."

Das große Problem dabei ist jedoch, dass nach der Evolutionstheorie die genetische Information immer mit bereits vorhandenen genetischen Elementen zusammenhängt (mit Ausnahme der Schaffung des genetischen Codes). Neue genetische Information entsteht durch Kopieren (Duplizieren) und Verändern des Vorhandenen, wie bereits oben erläutert. Eine neue Information ex nihilo würde eigentlich auf ein Wunder hindeuten! Dies führt zu der äußerst merkwürdigen Situation, dass die "GUToB" von Borger nur dann widerlegt werden kann, wenn die Evolutionstheorie falsch ist. Wissenschaftsphilosophisch ist diese Testmöglichkeit also unsinnig.

Schlussbemerkung

Darwin ist seit einiger Zeit tot, aber seine Theorie ist in abgewandelter Form, auch auf molekularer Ebene, lebendig und gut. Borger stützt sich auf überholte Ansichten der Evolutionsbiologie und hat wenig Verständnis für die moderne Evolutionsbiologie. Daher beruhen seine angeblichen Probleme mit der Evolutionsbiologie auf Unwissenheit oder Missverständnissen. Natürlich gibt es offene Fragen und Probleme in der Evolutionsbiologie, aber die gibt es in jeder wissenschaftlichen Disziplin. Das ist es, was Wissenschaftler beschäftigt und antreibt.

Die von ihm vorgeschlagene Alternative, "GUToB", ist keine wissenschaftliche Antwort auf diese Fragen und Probleme. Es ist lediglich ein Versuch, eine wörtliche Lesart des biblischen Schöpfungsmythos in einem molekularbiologischen Jargon auszudrücken, obwohl er dies nirgends ausdrücklich zugibt. Borgers Idee ist weitgehend unüberprüfbar oder zirkulär und daher keine Wissenschaft. Leider hat die Ideologie des Kreationismus den Biologen Borger vom wissenschaftlichen Weg abgebracht.

Ich danke Dr. Gerdien de Jong und Prof. Nico van Straalen für ihre hilfreichen Kommentare zu einer früheren Version dieses Artikels.

Update vom 10.02.2010:

Borger hat kürzlich versucht, meine Kritik in seinem Weblog zu widerlegen. Seine "Widerlegung" besteht jedoch hauptsächlich darin, zu wiederholen, was in seinem Buch steht, und meine Kritik zu ignorieren. Lesen und urteilen Sie selbst: Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 und 9

Aktualisierung 13.10.2017

Die obigen Links funktionieren seit einiger Zeit nicht mehr, weil Borgers Weblog nicht mehr existiert. Allerdings hat er seine Antworten auf meinen kritischen Artikel hier (am 01.01.2016) erneut gepostet. Darunter schrieb er: "Kein Wunder, dass er [Bart Klink] sie nicht auf seiner Website [www.deatheist.nl] veröffentlichen wollte" (1-1- 2016), während die Links zu seinen Antworten auf meinen Beitrag seit dem 10.02.2010 oben auf dieser Website aufgeführt waren. Borger hat sich also meine Website nicht angesehen oder er lügt. Darüber hinaus erwähnt Borger nicht, dass ich auf seine Kritik an meinem Beitrag in seinem Weblog (der nicht mehr existiert) ausführlich geantwortet habe. Während er also seine eigene Antwort gespeichert und erneut ins Internet gestellt hat, hat er meine Antwort darauf nicht erneut gepostet.

Quelle: