Meine Ausstieg aus der Brüdergemeinde und Dekonstruktion des Glaubens
Meine Geschichte und warum ich den christlichen Glauben verlassen habe
Ich bin in einem christlichen Elternhaus groß geworden und christlich erzogen worden. Meine Eltern besuchten eine offene Brüdergemeinde (d.i. eine konservative, evangelikale Freikirche) und ich hab mich mit 18 Jahren im Sommer 2000 bewusst für Jesus entschieden und die Bibel und alles was dazu gehört ernst zu nehmen. Nach christlicher Theologie habe ich definitiv eine Wiedergeburt erlebt. Mein Leben als junger Christ war mit Entbehrungen und Erwartungen verbunden. Eine Frau zu daten, ohne die Absicht sie zu heiraten, war tabu. Tägliches Bibellesen und Beten stand an der Tagesordnung, ebenso die Teilnahme an Gottesdienst, Bibelstudium und ähnlichen christlichen Veranstaltungen.
Ich hab in Deutschland eine Bibelschule (Forum Wiedenest) besucht und hier in Wien bis vor Kurzem noch Judaistik studiert. Ich hab Griechisch und Hebräisch gelernt und mich sehr intensiv mit der Bibel auseinandergesetzt. In der Gemeinde war ich auch im „Predigt-Dienst“. Nachdem es in meiner Gemeinde eine Spaltung gegeben hat, bin ich in eine andere Brüdergemeinde gewechselt, die teilweise noch strenger war (Stichwort „Die Frau schweige in der Gemeinde“).
Seit Anfang 2020 würde ich mich aber als christlicher Aussteiger bezeichnen. Meine Dekonstruktion begann mit der beiläufigen Aussage eines Professors im Judaistikstudium: „Das Buch Jeremia ist in der Septuaginta ein siebentel kürzer als im Masoretischen Text und geht vermutlich auf eine ältere hebräische Vorlage zurück“. Diese Aussage hat mich nicht mehr losgelassen, da ich an die Inspiration und Fehlerlosigkeit der Bibel geglaubt habe und ich nicht glauben konnte, dass es zwei Jeremia-Versionen gibt (eine lange und eine kurze).
Ich hab mich daraufhin intensiv mit Bibelüberlieferung, Textkritik, Inspiration, Septuaginta, Qumran-Texten und Kanonentstehung auseinandergesetzt und bin zu der unerwarteten Erkenntnis gekommen, dass die Bibel (vorallem das Alte Testament) doch nicht so gut überliefert ist, wie mir das immer beigebracht (indoktriniert) wurde. Dadurch hat das Fundament meines Glaubens (die Autorität der Bibel) Risse bekommen und wenn das Fundament nicht mehr tragfähig ist, dann stürzt das Haus, das man darauf gebaut hat (der Glaube), ein.
Als ich mich dann noch mit der Messianität Jesu beschäftigt habe, bin auch auf den YouTube-Kanal von Tovia Singer gestoßen. Als jüdische Rabbiner zeigt er anhand der Bibel und zahlreichen plausiblen Argumente warum Jesus nicht der Messias sein kann und warum das Neue Testament und die darin enthaltene Theologie eine Erfindung von Menschen ist. All die Behauptungen wie z.B. Jesaja 53 spricht vom leidenden Messias oder Jesaja 7,14 prophezeit die Jungfrauengeburt werden von ihm genau untersucht und die christliche Interpretation widerlegt. Empfehlenswert ist hier auch der Kanal von Jews for Judaism.
Auf meinem Weg hin zum Ausstieg hab ich einige Themen selbst intensiv recherchiert, darunter z.B. ob der Sintflutbericht glaubwürdig ist, oder ob man Evolution beweisen kann. Auch mit dem Buch Daniel und im Speziellen mit der Jahrwochenprophetie Daniels habe ich mich auseinandergesetzt, da diese für mich immer die Prophetie war, die am deutlichsten den Messias und seinen Todeszeitpunkt voraussagt.
Nachdem ich immer mehr Widersprüche in der Bibel entdeckt und gemerkt habe, dass viele Argumente (vor allem in Bezug auf Prophetie) ziemlich schwach und konstruiert sind und mir auch kaum ein Christ hier weiterhelfen konnte, habe ich meinen kindlichen Glauben verlassen. Ich würde mich heute als Atheist bezeichnen und habe begründet meinen christlichen Glauben hinter mir gelassen. Die Hauptgründe dafür sind nochmals kurz zusammengefasst folgende:
- Die Bibel ist bei weitem nicht so gut überliefert und fehlerlos, wie das immer behauptet wird. Siehe dazu: Kanon, Septuaginta und Inspiration
- Die biblischen Geschichten widersprechen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Z.B. Genesis 1 vs. Evolution. Siehe dazu: Evolutionsbeweise oder Genesis 6 vs. die Sintflut. Siehe dazu: Sintflut: Mythos oder Realität - Die Bibel enthält unauflösbare Widersprüche, kann also demnach nicht Gottes inspiriertes Wort sein. Siehe dazu z.B. Widerspruch in Matthäus 2,14 oder Widerspruch in Johannes 19,14
- Jesus ist nicht der Messias, von dem das AT redet. Siehe dazu: Messiaserwartung: Judentum vs. Christentum
- Der Gott der Bibel und seine Gebote sind ethisch und moralisch verwerflich. Frauen sind nur die Hälfte wert (3. Mose 27,5), Frauen sollen Ihre Vergewaltiger heiraten (5. Mose 22,28-29), ein eigenwilliger und ungehorsamer Sohn soll gesteinigt werden (5. Mose 21,18-21), Sklaverei ist vollkommen in Ordnung (3. Mose 25,44-46), Handabhacken bei Frauen (5. Mose 25,11-12), Völkermord an Frauen und Kindern (5. Mose 2,32-35; 3,6; 20,16-18; 1. Samuel 15,3), Todesstrafe für Homosexualität (3. Mose 20,13), Massenmord an Kritikern (4. Mose 16), Massenmord an Andersglaubenden (4. Mose 31) usw.
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