Zerriss der Vorhang im Tempel vor oder nach Jesu Tod? (Markus 15,37-38)
Dieser Widerspruch ist schnell erklärt:
Laut Markusevangelium zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten, nachdem Jesus gestorben war.
Im Lukasevangelium hingegen zerreißt der Vorhang des Tempels bevor Jesus stirbt.
Jesus aber gab einen lauten Schrei von sich und verschied. Und der Vorhang des Tempels zerriß in zwei Stücke, von oben bis unten.
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Und die Sonne ward verfinstert, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist! Und als er dies gesagt hatte, verschied er.
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Lösungsvorschläge
(vor 3 Monaten)
Chronologie ist ein wichtiges Stichwort, weil es im Griechichen zwei Wörter für Zeit gibt. Chronos und Kairos. In den deutschen Übersetzungen geht dieser Unterschied verloren.
Unsere Kultur kennt nur ein Wort für Zeit: sie denkt nämlich durchweg chronologisch, was nach Erfindung der Eisenbahn in der Einführung des Taktfahrplans gipfelte. Auch wird besonders gern aus der chronologischen Abfolge von Ereignissen (falsch) kausalen Zusammenhang geschlossen.
Christliche Fundamentalisten rennen auch sehr gern in diesen Fehler: So ist vielen pietistischen Doktrinen die chronologische Abfolge von Eheschließung und ihrem sexuellen Vollzug vorgeschrieben, während das Neue Testament nur von „der festgesetzten Zeit [Kairos] im Plan Gottes“ spricht. Es gibt also sowohl für die Heirat als auch den ehelichen Verkehr den "richtigen Moment" in einer nicht zwingend in einer von Menschen festgelegten spezifischen chronologischen Abfolge. Dieses Denken gipfelte übrigens 1875 im preußischen Kulturkampf in der Zwangszivilehe, wo es unter Strafe verboten war, die kirchliche Eheschließung chronologisch VOR der zivilen vorzunehmen. Obwohl Verbot zwischenzeitlich aufgehoben wurde, halten sich die Kirchen immer noch daran.
Aus Sicht eines in der (Prä-)Antike lebenden Autors eines biblischen Buches haben diese Chronologien keinerlei Relevanz. Diese Anforderung ist ein Resultat der Erfindung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert und des seitdem davon bestimmten Denkens.
Wenn in der Moderne ein Paar chronlogisch zuerst körperliche Gemeinschaft hat, chronologisch danach Kinder bekommt, chronologisch danach schließlich heiratet, dann sieht ein moderner Fundamentalist darin Sünde, aber ein antiker Denker hätte überhaupt kein Problem damit, das Ganze von der Einsetzung der Ehe her zu denken, auch wenn die Konsequenzen antichronologisch erscheinen. Er würde das dann auch entsprechend in umgekehrter Reihenfolge aufschreiben, falls ihm die komplette Geschichte bereits bekannt ist, oder später den früheren Text (der von der unehelichen Geburt der Kinder handelt) in eine neue Schicht (nun im Kontext der bereits geschlossenen Ehe) einbetten.
Das sind natürlich Denkweisen, die dem modernen Menschen völlig unbekannt sind, aber wir sprechen hier ja von einer Religion, die 2000 Jahre alt ist. Und gerade die Leute, die vorgeben, das so wie seinerzeit praktizieren zu wollen, sind meist völlig unfähig dazu.
(vor 3 Monaten)
Interessante Erklärung nur dass sie ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist.
Weder kommt χρόνος und καιρός in dem obigen Abschnitt vor, noch stimmt es, dass die biblischen Autoren keine Chronologie gekannt haben bzw. sie ihnen egal wäre.
Griechische Wörter wie ἔπειτα oder προσάββατον u.a. widersprechen da Ihrer Behauptung.
Sätze wie "Als er aber früh am ersten Tag der Woche..." (Mk. 16,9) zeigen, dass Zeit sehr wohl eine Rolle gespielt hat.
Ihre Aussage "Unsere Kultur kennt nur ein Wort für Zeit" ist auch falsch. Wir kennen Zeiten, Zeitspannen und Zeiten vor bzw. nach Zeiten.
Auch Ihre Aussage der Zeitpunkt der Eheschließung oder des sexuellen Vollzugs wäre egal ist laut Bibel falsch. Siehe 1. Korinther 7,9
(vor 3 Monaten)
Zunächst habe ich erklärt, warum eine moderne (chronologische) Sichtweise auf einen antiken Text zwangsläufig zu falschen Ergebnissen führen muss. Dann habe ich ein anschauliches Beispiel gewählt, das vielen (Ex-)Fundamentalisten ein Begriff ist, weil gerade in fundamentalistischen Kreisen oft und viel darüber gepredigt wird.
Die Empfehlung des 1. Kor 7,9 legt eben genau keine chronologische Reihenfolge fest. Auch unsere Juristen haben unterhaltsamerweise kein Problem damit, ehelichen Kindern eine neue Geburtsurkunde auszustellen, selbst wenn diese Ehe chronologisch erst Jahre später geschlossen wurde. Die einzigen, die damit ein Problem haben, sind Lineardenker in fundamentalistischen Sekten.
Deren (ausnahmlos modernen) Auslegungsweisen entspringen übrigens den Ideen eines John Nelson Darby, die seit dem 19. Jahrhundert sehr erfolgreich von Cyrus Scofield durch seine Bibelkonkordanz verbreitet wurden. Vor 1800 hat niemand (!) in der Kirchengeschichte jemals die Bibel so auslegt. Auch wenn die Sekte, aus der Sie ausgetreten sind, der Verbalinspiration, dem (auf Chronologie basierenden) Dispensionalismus und der "Entrückung" anhängt, ist es nicht das, was die weltweite Mehrheit der Christen glaubt und praktiziert.
(vor 3 Monaten)
"Zunächst habe ich erklärt, warum..." Nur war ihre Warum-Erklärung nicht korrekt, wie ich an Beispielen dargelegt habe.
Selbst im Wibilex lässt sich nachlesen. "So kann das geschichtlich-lineare Zeitverständnis als ein Charakteristikum der jüdisch-christlichen Tradition angesehen werden..." Quelle: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/35286/
Ihre These müssen Sie da schon mit irgendetwas besserem Begründen als Ihrer Meinung (z.B. einem Forschungsbeitrag, Fachartikel oder zumindest einer Bibelstelle).
(vor 3 Monaten)
Das Missverständnis beruht darauf, dass ich gar nicht auf das zyklische Zeitverständnis Bezug genommen habe, sondern auf das geschichtliche Zeitverständnis, das in der griechischen Bibel ja schon zweifelsfrei zum Einsatz kommt. Davon zu unterscheiden ist nochmal das moderne chronologische Zeitverständnis, das (mangels Erfindung der Uhr) in der Bibel überhaupt nicht (!) vorkommt. Letzteres wenden Fanatiker auf die gesamte (!) Bibel an.
Man darf nicht vergessen, der das moderne Kalendar (die westliche Zeitrechnung) erst weit nach Ende des Römischen Reiches eingeführt wurde, wobei man sich beim Geburtstermin Christi prompt um 7 Jahre verrechnete.
(vor 3 Monaten)
Schon in der Antike hatte man Uhren. Oder wie würden Sie ἡμιώριον aus Offenbarung 8,1 übersetzen?
Und ein Kalendersystem gab es schon lange vor Christi Geburt.
Ihre Behauptung bleibt somit weiterhin eine unbegründete Behauptung.
(vor 3 Monaten)
Wo ist das Problem? Beide Autoren stellen die beiden Ereignisse (Tod Jesu und Zerreißen des Vorhangs) in einen zeitlichen Zusammenhang - sie passieren gleichzeitig. Die Reihenfolge der Ereignisse in der Aufzählung ist irrelevant.
Du kannst dich daran stoßen, wenn du willst, aber du musst es nicht. Anders gesagt - du willst einen Widerspruch sehen.
(vor 3 Monaten)
Begründe bitte konkret, warum die "Reihenfolge der Ereignisse in der Aufzählung irrelevant" ist.
(vor 7 Monaten)
Das ist Haarspalterei . Hier fehlt korrekterweise für eine deutsche Übersetzung das Wort ...... danach teilte sich der Vorhang. Auch das kann auf verschiedene Weise passieren z.B. von oben nach unten. Wenn es ein Problem gibt, dann sind es es eher die vielen Übersetzungen aus dem Urtext !!!
(vor 7 Monaten)
Was ist daran Haarspalterei und was für ein Wort soll fehlen?
Entweder der Vorhang zerriss, bevor Jesus starb oder danach. Beides ist jedenfalls nicht möglich. Und das hat auch nichts mit der deutschen Übersetzung zu tun, da das Problem bereits im Griechischen vorhanden ist.
(vor 8 Monaten)
Ich habe keinen Lösungsvorschlag, sehe aber auch keinen Wiederspruch. Die Texte legen nahe, dass der Vorhang unmittelbar mit Jesus tot zusammenhing. Ob das jetzt kurz davor oder danach war macht vielleicht einen Unterschied von maximal ein paar Minuten, vielleicht sogar wenigen Sekunden aus. Da jedem klar sein müsste, dass es damals keine Webcam im Tempel gab, lässt sich der Zeitpunkt gar nicht auf die Minute bestimmen. Wenn jemand zur damaligen Zeit im nachinein ordentlich recherchieren wollte, bekam er von Zeugen vermutlich Antworten wie z.B. "es geschah um die 10 Stunde". Eine solche Antwort wird er bei beiden Ereignissen (zerissener Vorhang und Jesu tot) bekommen haben. Somit war klar, dass beides Gleichzeitig oder kurz hintereinander geschah. In welcher Reihenfolge die Evangelisten das dann aufgeschrieben haben hat, lediglich dramaturische Gründe und schmälert die ihnhaltliche Aussage zum Zusammehang der Ereignisse nicht.
(vor 7 Monaten)
Hallo,
wenn die Schreiber der Evangelien von Gott inspiriert worden sind, dann dürfte es auch keine Unterschiede geben. Auch wenn es nur paar Sekunden sind.
(vor 2 Jahren)
Mein Lösungsvorschlag: Gleichzeitigkeit. Wenn mehrere Dinge gleichzeitig passieren, kann man sie auch in Sätze hintereinenderschreiben:
"Es kam zum Autounfall. Eine Frau schrie, Glas splittert. Ein Kind weinte" kann dasselbe sein wie "Es kam zum Autounfall. Glas splitterte, ein Kind weinte. Eine Frau schrie"
Außerdem ist gerade Lukas dafür bekannt, auch Einschübe zu machen. Simples Beispiel: in Lk 4,33ff wird von der Heilung in einer Synagoge berichtet, in Vers 37 heißt es "Und sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Gegend".
Erst einen Vers weiter, erhebt sich Jesus und verlässt die Synagoge. Niemand würde jetzt hier annehmen, dass er den Kranken geheilt hat, dann so lange gewartet hat, bis seinen Ruf in der gesamten Gegend verbreitet war, und erst dann die Synagoge verließ. (ich hoffe niemand glaubt so)
Ich gaube, wir müssen uns von einer falschverstandenen Chronologie verabschieden.
(vor 2 Jahren)
Hier geht es allerdings nicht um Gleichzeitigkeit. Das Jesus stirbt und der Vorhang zerreißt ist ja nicht gleichzeitig geschehen, sondern davor bzw. danach. Bei Lukas spricht Jesus sogar noch, nachdem der Vorhang zerrissen war. Auch die Verknüpfungen mit "und" (diese fehlen in deinem Beispiel) zeigen, dass die Dinge nacheinander passieren.
Was hat das damit zu tun, dass Lukas Einschübe macht? Lk. 4,37 findet jedenfalls nach der Begebenheit von Lk. 4,33-36 statt. Gerade der Imperfekt in V. 37 zeigt auch, dass das Geschehen noch unvollendet ist, also ist klar, dass man in V. 38 nicht darauf wartet bis V. 37 vollendet ist.
Falsch verstandene Chronologie gibt es nur im Christentum. Lies dazu gerne meinen Artikel über den Messias/Christus.
(vor 3 Monaten)
Wieso kann "und" nicht nicht auf gleichzeitigkeit hindeuten?
Ich putze mir die Zähne und höre musik und lasse mir ein bad ein.
(vor 3 Monaten)
Mach doch mal eine Wortstudie für das Wort "und" im Kapitel 23 bei Lukas. Dann kannst du dir deine Frage selbst beantworten und wirst sehen, dass das Wort "und" hier nicht für Gleichzeitigkeit verwendet wird.