Wohin gingen die Jünger nach der Auferstehung? (Matthäus 28,10)

Nachdem es schon beim Auferstehungsbericht einige Ungereimtheiten und Widersprüche gibt, so gibt es auch im nachfolgenden Bericht weitere Probleme:

Laut Matthäus ging Jesus nach der Auferstehung nach Galiläa und auch die Jünger gingen nach Galiläa, um ihn dort zu sehen (Mt. 28,7.10.16). Nach dem Missionsbefehl endet das Evangelium. Betrachtet man jedoch die Parallelstelle in Markus, kann man darauf schließen, dass die Himmelfahrt in Galiläa stattfand.

Markus folgt dem Bericht von Matthäus, auch hier liest man davon, dass Jesus nach Galiläa ging (Mk. 16,7). In V. 15 folgt der Missionsbefehl und danach wird Jesus in den Himmel aufgenommen (V. 19).

Lukas berichtet davon, dass nach der Auferstehung die Jünger in Jerusalem blieben (Lk. 24,33). Jesus begegnet ihnen und befiehlt ihnen in Jerusalem zu bleiben (Lk. 24,49). Die Himmelfahrt geschieht dann in Betanien (V. 50). Vermutlich ist gemeint „in der Nähe von Betanien“, da sich Lukas sonst mit seiner Apostelgeschichte widersprechen würde. Eigenartig bleibt die Bezeichnung trotzdem, warum er Betanien erwähnt und nicht den Ölberg (wie in der Apg.). Nach der Himmelfahrt kehren sie zurück nach Jerusalem und „waren allezeit im Tempel“ (V.53).

Johannes berichtet, dass sich die Jünger, aus Furcht vor den Juden, in Jerusalem eingeschlossen hatten. Jesus erscheint ihnen und acht Tage später noch einmal (Joh. 20,26). Danach gehen einige Jünger am See von Tiberias (See Genezareth) Fischen und Jesus erscheint ihnen (Joh. 21,1ff). Diese Geschichte ist Sondergut und findet man nicht bei den anderen Evangelisten. Andere frühere Begegnungen mit Jesus, als die bei Johannes erwähnten, gab es nicht, denn in V. 14 heißt es: „Dies ist schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, nachdem er aus den Toten auferweckt war.“ Von der Himmelfahrt ließt man im Johannesevangelium nichts.

Die Apostelgeschichte (von Lukas geschrieben) berichtet, ähnlich wie das Lukasevangelium, dass Jesus den Jüngern befahl in Jerusalem zu bleiben (Apg. 1,4). Jesu Himmelfahrt geschieht dann am Ölberg (Apg. 1,12) und danach kehren sie nach Jerusalem zurück.

Zusammenfassung:

Matthäus und Markus verlegen die Geschehnisse nach der Auferstehung nach Galiläa, von wo aus er auch in den Himmel auffährt. Lukas und seine Apostelgeschichte berichten davon, dass die Jünger unbedingt in Jerusalem bleiben sollten! Die Himmelfahrt geschieht dann auch nahe Jerusalem am Ölberg, welcher vermutlich zu Jerusalem zählte (Mk. 13,3; Apg. 1,12b). Johannes nimmt eine Sonderstellung ein und berichtet von zwei Begegnungen in Jerusalem und weiteren am See Genezareth. Einen Befehl irgendwo hinzugehen oder zu bleiben, findet man nicht, ebenso wird die Himmelfahrt nicht erwähnt.

Eine kleine Ungenauigkeit findet man auch bei Paulus in 1. Kor. 15,4-5. Dort heißt es „und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften; und dass er Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen.“ Abgesehen davon, dass es keine alttestamentliche Bibelstelle gibt, die von einer Auferstehung am 3. Tag redet, stimmt die Bezeichnung „Zwölf“ nicht ganz. Judas Iskariot beging ja Selbstmord und der Ersatz für Judas (Matthias) wurde erst nach der Himmelfahrt gewählt (Apg. 1,26). Demnach erschien Jesus nur den Elf und nicht den Zwölf. Alle Synoptiker verwenden den Begriff „die Elf“ korrekt (Mt. 28,16; Mk. 16,14; Lk. 24,33), nur Paulus verwendet hier den falschen Begriff.


Matthäus 28,10
Da spricht Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht; gehet hin, verkündet meinen Brüdern, dass sie hingehen nach Galiläa, und daselbst werden sie mich sehen.
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Apostelgeschichte 1,4
Und als er mit ihnen versammelt war, befahl er ihnen, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten - die ihr von mir gehört habt;
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« Schrie Jesus auf Hebräisch oder Aramäisch?Zerriss der Vorhang im Tempel vor oder nach Jesu Tod? »


Lösungsvorschläge

Von: Klaus Peper
◷ 18 Mai
(vor 11 Monaten)

Man löse sich beim Lesen von biblischen Texten sowohl von der Erwartung, dass Zeitsprünge und Ortswechsel immer überliefert wurden, als auch von der Erwartung, dass es Bibelherausgebern immer gelingt, solche Wechsel von einem zu einem anderen Ereignis trotzdem zu erkennen und durch Absätze und Überschriften kenntlich zu machen.

Geht man entsprechend selbstkritisch vor, wird der Weg frei für eine widerspruchsfreie Deutung: Es liegen einerseits Textstücke vor, die die nachösterlichen Ereignisse in Jerusalem und anschließend in Galiläa beschreiben (Mt 28,1-17; Mk 16,1-14; Lk 24,1-43; Jo 20 und 21), andererseits unvermittelt folgend solche, die das Geschehen vor und nach der Himmelfahrt des Herrn schildern (Mt 28,18-19; Mk 16, 15-20; Lk 24,49-53; Apg 1,4-14).

Bei der Aufforderung, nach Galiläa zu gehen, handelt es sich also um ein österliches Ereignis; die Aufforderung, in Jerusalem zu bleiben, erfolgte unmittelbar vor der Himmelfahrt.

https://www.aup-online.com/content/journals/10.5117/EJT2021.1.005.DORP

Von: Daniel
◷ 8 November
(vor 6 Monaten)

Besonders der Link ist zu dem Thema richtig gut und zeigt auch wie man mit dieser Art der Bibelkritik gut umgehen kann. Vielen Dank fürs Teilen.

Von: Markus M.
◷ 8 November
(vor 6 Monaten)

Laut dem Beitrag gelingt eine Lösung nur, wenn man Bibelstellen aus dem Text herausschneidet und an anderen (passenden) Stellen wieder einfügt.

Mit solch einer Methode (wo man nachträglich die Texte korrigiert) kann man viele Widersprüche lösen...

Es ist ein Armutszeugnis für den Heiligen Geist, der die Schreiber demnach falsch inspiriert hat.

Von: Frithjof Dittrich
◷ 28 November
(vor 1 Jahr)

Das Matthäusevangelium enthält viele erfundene Geschichten. Der Schluß des Markusevangeliums ist unvollständig. Johannes kannte wahrscheinlich das Lukasevangelium und hat ergänzt, was dort fehlt.

Von: Linus Loth
◷ 22 April
(vor 2 Jahren)

Paulus könnte die Evangelien zitieren, die zu dem Zeitpunkt bereits im Umlauf waren oder aus dem OT die Analogie zu Jona, worauf sich auch Jesus bezieht. "Den Zwölfen" ist als Eigenname für die Apostel zu verstehen und muss nicht unbedingt als numerischer Wert aufgefasst werden.

Von: Markus M.
◷ 23 April
(vor 2 Jahren)

Zur Zeit von Paulus gab es höchstwahrscheinlich die Evangelien noch nicht. Außerdem ist mit "Schriften" immer das AT gemeint.

Wo in Jona gibt es eine Prophetie, dass der Messias sterben muss und am dritten Tag auferweckt wird? 

Trotzdem verwenden die Evangelisten den korrekten Begriff ("Elf").

Von: Linus Loth
◷ 22 April
(vor 2 Jahren)

Der Autor von diesem Artikel äußert die Annahme, dass Jesus den Missionsbefehl nur einmal ausgesprochen und danach sofort die Himmelfahrt stattgefunden hat. Das kann man nicht eindeutig aus dem Ende von Matthäus, Markus und Lukas ableiten. Daran hängt der ganze scheinbare Widerspruch...

Von: Markus M.
◷ 23 April
(vor 2 Jahren)

Wie soll eine doppelter Missionsbefehl, der übrigens nirgendwo erwähnt oder angedeutet wird, das Problem lösen? Der Widerspruch ist, dass sie einerseits aufgefordert werden nach Galiläa zu gehen und andererseits wird ihnen befohlen in Jerusalem zu bleiben (bis Pfingsten).